
| Der französische Philosoph Alain Finkielkraut geriet am Samstag in Paris in die Demonstration der Gelbwesten und wurde antisemitisch beschimpft.
Er habe einen „absoluten Hass“ gespürt, sagte Alain Finkielkraut am Tag danach und ohne den Schutz der Polizei hätten ihn seine Gegner wohl niedergeschlagen. Der französische Philosoph geriet am Samstagnachmittag in Paris in eine Kundgebung der „Gelbwesten“. Videoaufnahmen der Szene wurden ins Internet gestellt, in der mehrere Männer den 69-Jährigen wüst unter anderem als „dreckigen Scheiß-Zionisten“ beschimpften. „Frankreich gehört uns“, brüllten einige. Seither ist die Empörung groß.
Die Staatsanwaltschaft von Paris hat Vorermittlungen eingeleitet, einer der Haupttäter wurde bereits identifiziert. Er soll einer radikal-islamischen Bewegung angehören.
Finkielkraut selbst betonte, nicht alle Demonstranten seien aggressiv gewesen – einer bot ihm sogar eine gelbe Warnweste zum Schutz an. Als einer der wenigen französischen Intellektuellen hatte der Sohn polnisch-jüdischer Einwanderer, der dem linken Milieu angehört, die Protestbewegung vor allem zu Beginn unterstützt. Er bezahle jedoch für seine kontroversen Positionen zum Nahost-Konflikt, sagte er nun: „Das Problem der Juden heute ist, dass man sie Rassisten nennt, weil sie ein Gefühl der Solidarität mit Israel haben.“
Mehrheit demonstriert friedlich
Präsident Emmanuel Macron schrieb auf Twitter, antisemitische Beleidigungen seien „die absolute Verneinung dessen, was wir sind und was aus uns eine große Nation macht“. 14 politische Parteien riefen für den heutigen Dienstag zu einer Versammlung gegen Antisemitismus auf, Nicht eingeladen wurde Rechtspopulistin Marine Le Pen, die allerdings den Angriff auf Finkielkraut ebenfalls als „abscheulich und schockierend“ beklagte und die Schuld dafür bei den „antisemitischen Linksextremen“ suchte.
Wiederholt kam es am Rande der seit drei Monaten andauernden Proteste der „Gelbwesten“, die ursprünglich für weniger Steuern und mehr soziale Gerechtigkeit kämpften, zu verbalen und tätlichen Ausfällen – gegen Abgeordnete, Polizisten, Journalisten und Juden. Laut Polizei wird die Bewegung von Ultrarechten und -linken unterwandert. Während sich nicht alle Wortführer der „Gelbwesten“ von der Gewalt distanzieren, demonstriert die Mehrheit friedlich.
Jüdische Gemeinschaft fühlt sich bedroht
Der Historiker Pierre Birnbaum warnte davor, die Bewegung pauschal als antisemitisch zu bezeichnen: „Sie schafft aber einen Kontext, der den Ausdruck eines tief verankerten Antisemitismus fördert." Viele sprächen dem Staat die Legitimität ab, da er als Staat der Reichen und Elite wahrgenommen werde - und für manche damit der Juden. Doch antisemitische Graffitis am Rande einer Kundgebung machten aus dieser noch keine "antisemitische Bewegung", so Birnbaum.
Vor wenigen Tagen wurden Kunstporträts der 2017 verstorbenen Ex-Ministerin Simone Veil, die als Jugendliche das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau überlebte, mit Hakenkreuzen besprüht. An die Vitrine eines Bagel-Shops schmierten Unbekannte das Wort "Jude" auf Deutsch. Gerade waren zum Gedenken an den 2006 grausam ermordeten Juden Ilan Halimi gepflanzte Bäume zerstört worden. In diesem Klima fühlt sich die jüdische Gemeinschaft in Frankreich bedroht, die mit gut einer halben Million Mitgliedern die größte in Europa ist.
Laut Innenministerium stiegen die antisemitischen Taten im vergangenen Jahr um 74 Prozent an - von 322 auf 541. Allerdings hatte es zuvor einen Rückgang gegeben, nachdem 2014 und 2015 sogar jeweils über 800 judenfeindliche Akte gezählt worden waren. Vor allem in dieser Zeit wanderten tausende französische Juden nach Israel aus, zahlreiche kamen seither aber wieder zurück.