In Tel Aviv herrscht Großalarm. Die Polizei jagt am Donnerstag ein „verdächtiges Fahrzeug“. Auf dem Weg ins Stadtzentrum muss ein Linienbus immer wieder an eilig aufgebauten Polizeisperren halten. An den Kreuzungen stehen Sicherheitskräfte mit martialisch gezückten Waffen. In der Luft dröhnt laut ein Hubschrauber, der auf der Suche nach möglichen Attentätern über der Stadt kreist.
Nahe den Azrieli-Türmen, einem beliebten Einkaufszentrum in der Küstenmetropole, steigen dann plötzlich Polizisten in den Bus. Sie gehen mit prüfenden Blicken durch den Gang, dann steigen sie wieder aus. Ein verängstigtes Mädchen redet am Handy aufgeregt mit seinem Vater und wedelt sich heftig Luft zu.
Wenige Minuten später dann Entwarnung. Die Polizei hat zwei Verdächtige gefasst. Kurzes Durchatmen und Erleichterung, obwohl niemand weiß, ob jetzt wirklich ein Anschlag verhindert wurde. Seit Beginn einer neuen Welle palästinensischer Messerattacken vor zwei Wochen gehört die Angst zum Alltag vieler Israelis.
Über soziale Medien werden Selbstverteidigungskurse für den Fall eines Messerangriffs angeboten. Rettungsdienste liefern Erklärungen, wie man nach Stichverletzungen die Blutung stoppt. Verteidigungsminister Mosche Jaalon und Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat haben Israelis mit Waffenscheinen dazu aufgerufen, ihre Schusswaffen immer bei sich zu tragen.
Die Schulen in den israelischen Städten verschärfen ihre Sicherheitsmaßnahmen. Kindern mit Ängsten wird psychologische Betreuung angeboten. An einer Grundschule im Zentrum von Tel Aviv muss ein bewaffneter Wachmann, der sonst nachmittags geht, bis zum Abend bleiben. „Ich bleibe, bis das letzte Kind die Schule verlassen hat“, sagt er. „Das sind eben schwere Zeiten.“
In Jerusalem, wo die meisten Anschläge verübt wurden, gehen die Bewohner nicht mehr gerne außer Haus. Party-Einladungen werden ausgeschlagen, Jogger verzichten auf das Laufen in Grünanlagen. „Es wachsen einem im Hinterkopf Augen“, sagt man hier – denn im Rücken könnte schon der nächste Messerattentäter lauern.
In dem jüdischen Viertel Armon Hanaziv im arabischen Ostteil Jerusalems liegen die Nerven blank. Am Dienstag hatten dort zwei Attentäter aus dem angrenzenden palästinensischen Viertel Dschabal Mukaber einen städtischen Bus gekapert und zwei Israelis mit Schüssen und Messerstichen getötet. „Etwa die Hälfte der Kinder geht derzeit nicht in die Schule“, sagt die Lehrerin Michal Scharoni. Eltern und Kinder hätten Angst. „Meine eigenen Kinder im Alter von fünf, acht und zwölf Jahren schlafen schlecht und fürchten sich vor Anschlägen“, fügt sie hinzu.
Der Computertechniker Dror Ben Arbon (48) steigt in einer bizarren Aufmachung aus seinem Wagen. Auf dem Kopf sitzt ein Motorradhelm, den Oberkörper umhüllt eine schusssichere Weste, in einer Hand hält er ein Würgeholz, in der anderen einen Schlagstock. „Ist es normal, wenn man sich nur noch so schützen kann?“, fragt er sichtlich angespannt. „Und nicht einmal das ist zu 100 Prozent sicher, wenn hinter deinem Rücken plötzlich ein Terrorist mit einem Messer steht.“
Doch auch viele Palästinenser haben Angst: Sie fürchten etwa, grundlos für einen „Terroristen“ gehalten und erschossen zu werden. In einer Atmosphäre des Schreckens neigen viele Israelis zunehmend dazu, ihre arabischen Mitbürger misstrauisch zu beäugen.
In einem Zug in der Nähe der Küstenstadt Haifa zieht ein Passagier am Donnerstag die Notbremse – Soldatinnen dachten irrtümlich, sie hätten bei einem arabischen Mitfahrer ein Messer gesehen. Ein Offizier schießt in die Luft, Passagiere stürzen panisch aus dem Zug. „Es war ein Riesenchaos und innerhalb kürzester Zeit war alles voller Polizisten“, erzählt ein Augenzeuge dem israelischen Fernsehen.