Dröhnend kreisen Kampfhubschrauber über Slawjansk, als ukrainische Regierungstruppen auf die Großstadt vorrücken. Von erbitterter Gegenwehr der prorussischen Aktivisten ist die Rede, mit tragbaren Flugabwehrraketen feuern sie auf die Mi-Helikopter über ihren Köpfen. Zwei Maschinen stürzen ab, es gibt Tote und Verletzte. An Kontrollposten setzen Mitglieder der moskautreuen „Volksmiliz“ Barrikaden aus Autoreifen in Brand, um die Angreifer zu stoppen. Beißend steigt dicker giftiger Qualm auf.
Lebender Schutzwall
Aus der umzingelten ostukrainischen Stadt ruft der selbst ernannte „Bürgermeister“ Wjatscheslaw Ponomarjow die Einwohner zur Verteidigung auf. „Unsere Stadt wird angegriffen, unsere Stadt wird erstürmt“, betont Ponomarjow. Und die Menschen folgen ihm offenbar. Busse karren Dutzende – Junge, Alte, Familien – an den Stadtrand, wo sie sich als lebender Schutzwall den hoch gerüsteten Einheiten von Armee, Nationalgarde und Innenministerium entgegenstellen.
„Was macht ihr hier? Haut ab“, brüllen die Aufgebrachten den Soldaten ins Gesicht. Der Volkszorn bricht sich Bahn. Mit einer Ikone fuchtelt die Rentnerin Valentina vor den Regierungstruppen herum. „Nachts um vier bin ich vom Geschosslärm aufgewacht“, erzählt die 58-Jährige, die nahe an einer Straßensperre lebt. Alle Bewohner hätten das Haus verlassen und sich auf den Boden legen müssen, schildert Valentina den Beginn der Offensive.
Bereits auf dem Weg von der Gebietshauptstadt Donezk nach Slawjansk wird deutlich, dass die Zentralregierung im weit entfernten Kiew kaum noch Kontrolle über das russisch geprägte Gebiet hat. Andauernd unterbrechen Sperren aus Reifen und Sandsäcken die Fahrt auf der Hauptstraße. An den Posten weht die Fahne der selbst ernannten Volksrepublik Donezk.
Auch die Verkehrspolizei scheint gemeinsame Sache mit den prorussischen Kräften zu machen. Überall packen Zivilisten mit an, schichten neue Barrikaden auf, verstärken alte. Mit einem Lastwagen bringt ein Mann eine Ladung Reifen. „Wir sind eine eigenständige Region“, betont Rentnerin Valentina. „Wir wollen Kiew und die Westukraine nicht länger füttern.“
Die vom Kohlebau geprägte Region wirkt deutlich wohlhabender als weite Teile der Ex-Sowjetrepublik. Wütend halten Anwohner Patronenhülsen in den Händen. „Das blüht uns also“, schimpfen sie in Richtung der Sicherheitskräfte. Sie fühlen sich bereits wie im Krieg. Das Mobilfunknetz breche immer wieder zusammen, es gebe kein Brot, die Geldautomaten seien leer. „Wir haben Angst“, meinen viele.
Die teils vermummten Truppen wirken martialisch. Doch ihre Gewehrläufe halten sie gen Boden. „Wir werden Euch nicht töten, Ihr seid unbewaffnet“, meint ein Uniformierter. „Wir erfüllen nur unsere Pflicht“, schiebt er hinterher.
Die prowestliche Führung in Kiew will endlich die Lage in der Region wieder in den Griff bekommen, die ihr schon vor Wochen entglitten ist. Vor der Präsidentenwahl, die für den 25. Mai geplant ist, soll Ruhe herrschen. In zahlreichen Städten halten prorussische Milizen staatliche Gebäude besetzt.
Slawjansk, wo „Bürgermeister“ Ponomarjow auch deutsche Militärbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gefangen hält, wird bisher komplett von den Separatisten kontrolliert. Der Angriff auf die Stadt soll, so hat es den Anschein, symbolische Wirkung haben. Von der „aktiven Phase der Anti-Terror-Operation“ spricht Innenminister Arsen Awakow. Der aussichtsreiche Präsidentschaftskandidat Pjotr Poroschenko betont: „Endlich unternimmt die Regierung die Schritte, auf die die ganze Ukraine wartet.“