Lokalpolitiker und Hilfsorganisationen warnten seit Wochen vor drohenden Unruhen im überfüllten Aufnahmelager Moria auf der griechischen Ägäisinsel Lesbos. Am Sonntagabend bewahrheiteten sich die Befürchtungen: Bei schweren Ausschreitungen starb eine junge Frau in einem brennenden Wohncontainer. Auch am Montag blieb die Lage in dem Camp angespannt.
Am späten Sonntagnachmittag brachen an zwei Stellen im Lager Brände aus. Augenzeugenberichten zufolge sollen randalierende Migranten die Feuer gelegt haben. Polizei und Feuerwehr rückten an, wurden aber von den Randalierern mit Steinwürfen, Knüppeln und Eisenstangen angegriffen. So konnten sich die Flammen ausbreiten. „Wir hatten Angst um unser Leben“, sagte der Feuerwehrmann Georgios Dinos im griechischen Fernsehen. Als die Polizei die Migranten mit Tränengas zurücktreiben und die Feuerwehr endlich löschen konnte, waren bereits acht Wohncontainer ausgebrannt. In einem fanden die Feuerwehrleute die verkohlte Leiche einer jungen Frau.
Die Nachricht vom Tod der Frau sorgte für neue Ausschreitungen. Die Randalierer demolierten zahlreiche Einrichtungen des Camps, steckten Müllcontainer in Brand und verwüsteten die Büros der Lagerleitung. In Moria, dessen Unterkünfte und sanitäre Anlagen für 3000 Menschen ausgelegt sind, sind nach offiziellen Angaben vom vergangenen Freitag 12.305 Menschen eingepfercht. Sie müssen dort auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge warten. Aber das dauert Jahre. Insgesamt harren auf den Ägäisinseln 29.223 Menschen aus – mehr als doppelt so viele wie noch im April. Und der Migrationsdruck wächst ständig: Im August kamen 8103 Schutzsuchende aus der Türkei zu den griechischen Inseln, doppelt so viele wie im Vorjahresmonat. Im September waren es bereits über 9000.
Während noch in der Nacht zum Montag weitere Einheiten der Bereitschaftspolizei mit einem Militärflugzeug vom Festland nach Lesbos gebracht wurden, beriet am Montagvormittag in Athen das Kabinett in einer Sondersitzung über die Lage. Die Regierung will jetzt die Sicherung der Seegrenzen verstärken, mehr Migranten von den Inseln aufs Festland bringen und abgelehnte Asylbewerber zügiger in die Türkei zurückschicken, wie es der Flüchtlingspakt vorsieht.
Der für die Migrationspolitik zuständige Vizeminister Giorgos Koumoutsakos will am Mittwoch nach Ankara fliegen, um dort mit der türkischen Regierung zu beraten, wie der Flüchtlingsstrom gebremst werden kann. Am Donnerstag und Freitag kommen Bundesinnenminister Horst Seehofer, sein französischer Amtskollege Christophe Castaner und der EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos nach Ankara und Athen. Dabei geht es um weitere Finanzhilfen für die Türkei, die bereits rund vier Millionen Migranten beherbergt. Auch Griechenland ruft nach Hilfe: Bei der EU-Grenzschutzagentur Frontex hat Athen mehr technische Ausrüstung zur Überwachung der Seegrenze angefordert. Die Regierung wünscht sich auch mehr Unterstützung der EU bei der Bearbeitung der Asylanträge und eine gerechtere Verteilung der ankommenden Migranten.