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„An der Börse sinkt der Preis sogar“
Das Gespräch führte Michael Kerler
 |  aktualisiert: 18.12.2012 22:04 Uhr

Scheitert die Energiewende? Davor hat die Industrie in Bayern kürzlich gewarnt. Es fehle an Netzen, Gaskraftwerken, Speichern, heißt es. Und der Strom wird spürbar teurer. An diesem Mittwoch möchten Umweltminister Peter Altmaier und Wirtschaftsminister Philipp Rösler jetzt einen Zwischenbericht über die Energiewende in der Bundesrepublik abgeben. Wie weit Deutschland bisher gekommen ist und was der Umbau kostet, darüber sprachen wir mit Energieforscherin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Frage: Frau Kemfert, derzeit häuft sich die Kritik, dass die Energiewende ins Stocken geraten ist. Woran hakt es wirklich?

Claudia Kemfert: Ich teile die Einschätzung nicht, dass die Energiewende grundsätzlich ins Stocken gerät, da der Ausbau der erneuerbaren Energien in vielen Bundesländern munter vorangeht. Wichtig ist nun, dass man den Netzausbau koordiniert und wichtige Stromtrassen von Nord nach Süd sowie dezentrale Verteilnetze zügig ausbaut.

Sie sind also überzeugt, dass die Energiewende bis zum Atomausstieg im Jahr 2022 gelingen kann?

Kemfert: Der Atomausstieg, also das Abschalten der restlichen neun Atomkraftwerke, wird meines Erachtens dank der Energiewende möglich sein, da der Anteil erneuerbarer Energien kontinuierlich wächst. Die Energiewende sieht ja vor, dass der Anteil erneuerbarer Energien auf 80 Prozent bis zum Jahre 2050 ansteigt. Der Atomausstieg braucht die Energiewende.

Gleichzeitig scheinen aber die Kosten davonzulaufen. Allein die EEG-Umlage steigt um rund die Hälfte auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde.

Kemfert: Da die EEG-Umlage aus der Differenz zum sinkenden Börsenpreis für Strom errechnet wird, ist diese überproportional angestiegen. Dadurch steigt der Strompreis für Privathaushalte weiter. Es gibt aber auch die preissenkenden Effekte der Energiewende: An der Leipziger Strombörse sinkt der Preis durch das zusätzliche Angebot an erneuerbarer Energie.

Bei den Bürgern kommt der niedrigere Börsenpreis für Strom aber nicht an . . .

Kemfert: Die Stromwirtschaft müsste den sinkenden Börsenpreis auch an die Verbraucher weitergeben. Anders als Privatleute profitiert die Industrie bisher übrigens doppelt: Einmal von den gesunkenen Börsenpreisen, da sie als Großabnehmer bessere Bedingungen hat. Zudem sind Großbetriebe von der Zahlung der EEG-Umlage, Ökosteuer oder Emissionshandel ausgenommen.

Was können Verbraucher gegen die steigenden Strompreise tun?

Kemfert: Die Verbraucher sollten den Anbieter viel häufiger als bisher wechseln, denn so steigt der Druck auf die Konzerne, nicht alle Kosten unmittelbar weiterzureichen und die Kunden an den Preissenkungen teilhaben zu lassen. Zudem sollte jeder mehr Energie einsparen.

Müsste man nicht grundsätzlicher denken? Bräuchten wir nicht eine Reform des EEGs?

Kemfert: Grundsätzlich sieht das EEG ja vor, dass die Vergütungssätze regelmäßig gekürzt werden, wenn die Kosten sinken. Zudem benötigt man finanzielle Anreize für den Bau von Gaskraftwerken, die gut kombinierbar sind mit erneuerbaren Energien, sowie den Ausbau der Netze und Speicher. Ein kluges Marktdesign kann zudem Anreize geben, um Stromangebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen.

Ein Problem ist für die Energieversorgung im Süden, dass die Anbindung der Windräder auf See nicht funktioniert. Laufen wir hier in eine Falle?

Kemfert: Grundsätzlich funktioniert die Anbindung durchaus, wie zahlreiche existierende Offshore-Windparks in Dänemark oder England zeigen. Das Problem im Nordwesten Deutschlands ist, dass man die technischen, zeitlichen und finanziellen Anforderungen unterschätzt hat. Es ist vor allem auch ein Problem des mangelnden Managements: Da man wusste, dass die Windparks gebaut werden, hätte man auf raschen Netzausbau drängen müssen.

Was im Norden die Probleme mit der Windenergie sind, ist im Süden der Bau von Gaskraftwerken. Dieser kommt nicht voran. Warum?

Kemfert: Es hakt beim Bau großer Gaskraftwerke, da die Kraftwerke grundsätzlich aufgrund der Zunahme der erneuerbaren Energien weniger wirtschaftlich sind. Da der Ökostrom Vorrang hat, wenn er ins Netz eingespeist wird, kommen Gaskraftwerke nur auf sehr kurze Laufzeiten. Ein kluges Marktdesign muss künftig gewährleisten, dass sich der Bau derartiger Kraftwerke dennoch rechnet. In Kommunen kommen übrigens immer mehr kleine gasbetriebene Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zum Einsatz. Zusammen mit dem Ausbau erneuerbarer Energien sind sie für Bayern und Baden-Württemberg besonders wichtig.

Auch die USA haben eine eigene Energiewende: Das Land fördert wie wild Öl und Gas. Auch eine Strategie, oder?

Kemfert: Das Verhalten der USA ist keine nachhaltige Strategie, da auch die letzten Öl- und Gasreserven einmal aufgebraucht sein werden, auch wenn so mehr Zeit gekauft wird. Übrigens ist der Preis dafür eine Umweltverschmutzung, ein deutlicher Anstieg der Treibhausgase und ein weiter ansteigender Energieverbrauch. Dabei könnten die USA als eines der Länder mit dem höchsten Pro-Kopf-Energieverbrauch und der höchsten Treibhausgasproduktion deutlich energiesparsamer sein.

Die USA waren ein Bremser auf der Klimakonferenz in Doha. Lohnt sich angesichts der mageren Ergebnisse dort das Weitermachen?

Kemfert: Und ob! Deutschland ist führend im Bereich der Umweltschutzgüter. Ein wesentlicher Grund, dass Deutschland so gut durch die Krise kommt, ist seine starke Industrie, die in den Bereichen Energie- und Materialeffizienz, nachhaltiger Kraftwerksbau, nachhaltige Mobilität oder Recycling weltweit führend ist. Es ist bedauerlich, dass die Klimaverhandlungen so wenig vorwärtskommen. Jede Volkswirtschaft ist gut beraten, mehr und mehr auf fossile Energien zu verzichten. Das spart Treibhausgase und vor allem Kosten. Die Energiewende ist gut für die Wirtschaft.

Claudia Kemfert

Seit April 2004 leitet Claudia Kemfert die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, kurz DIW, in Berlin. Sie ist zudem seit 2009 Professorin für Energieökonomie an der Hertie School of Governance in Berlin. Kemfert ist Mitglied im Club of Rome. Als Beraterin ist sie für die EU-Kommission tätig. Sie sitzt nach eigenen Angaben in den Beiräten mehrerer Bundes- und Landesministerien. Öffentlich bekannt wurde sie als Expertin im Fernsehen. Claudia Kemfert (44) ist verheiratet und lebt in Oldenburg und Berlin. TEXT: AZ/Foto: diw

 
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