Nach dem Rücktritt der prorussischen Regierung hat Kremlchef Wladimir Putin überraschend weitere Milliardenhilfen für die Ukraine auf Eis gelegt. Erst müsse die Entwicklung des Machtkampfs in dem krisengeschüttelten Nachbarland klar sein, sagte Regierungschef Dmitri Medwedew bei einem Treffen mit Putin am Mittwoch.
Russland habe von den in Aussicht gestellten 15 Milliarden Dollar bereits drei Milliarden Dollar nach Kiew überwiesen und wolle seine Zusagen einhalten, unterstrich Putin. Er stimmte Medwedew zu, dass Russland erst wissen müsse, „welche Wirtschaftspolitik die neue Regierung verfolgt, wer in ihr sitzen wird und welches ihre Prinzipien sein werden“. Die ukrainische Regierung war am Dienstag auf Druck der proeuropäischen Opposition zurückgetreten.
In Kiew beriet das Parlament über neue Zugeständnisse an die Opposition. In einer Sondersitzung konnten sich beide Seiten aber zunächst nicht auf eine Amnestie für inhaftierte Demonstranten einigen.
Als „Zeichen des guten Willens“ beendeten in Kiew zahlreiche radikale Regierungsgegner ihre Besetzung des Agrarministeriums. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen Aktivisten der Bewegung Spilna sprawa (Gemeinsame Sache) und nationalistischen Demonstranten. Einige Aktivisten blieben noch im Ministerium. Die Opposition um Vitali Klitschko hatte die Aktivisten zur Räumung aufgefordert. Sie will eine Amnestie für inhaftierte Demonstranten durchsetzen.
Abgeordnete aus dem Regierungslager forderten erneut, vor einer Freilassung müssten alle besetzten Gebäude und Plätze geräumt werden. Die Opposition betonte jedoch, zumindest den Unabhängigkeitsplatz (Maidan) und das Gewerkschaftshaus in Kiew auszunehmen. Sie gelten als wichtige Schaltzentrale der Demonstranten.
Die Amnestie wäre ein erneutes Zugeständnis an die Regierungsgegner. Diese fordern aber weiter auch einen Amtsverzicht von Präsident Viktor Janukowitsch.
„Die Menschen sind auf die Straße gegangen, um die Situation im Land zu ändern. Jetzt zu sagen: Wir lassen die Leute nur frei, wenn die Demonstranten nach Hause gehen, ist unannehmbar“, sagte Oppositionspolitiker und Ex-Boxweltmeister Klitschko.
Janukowitsch traf sich in Kiew mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton zum Krisengespräch. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hält eine Beilegung des Konfliktes für möglich. Es gebe einen „Hoffnungsschimmer“, sagte er in Berlin. Alle bisherigen Angebote Janukowitschs an die Opposition seien aber „nicht belastbar“. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) warb für eine friedliche Lösung in der Ex-Sowjetrepublik. Gleichzeitig würdigte sie den Mut der Demonstranten. „Sie setzen sich für die gleichen Werte ein, die auch uns in der europäischen Union leiten.“
Die Vaterlandspartei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko warnte wieder vor der Gefahr einer gewaltsamen Lösung des Machtkonflikts in Kiew. Sollte Janukowitsch den Ausnahmezustand verhängen und Spezialeinheiten gegen die Demonstranten einsetzen, drohe ein „Blutbad mit Hunderten Opfern“, sagte Ex-Außenminister Arseni Jazenjuk, Fraktionschef der Timoschenko-Partei.
Der frühere Präsident Leonid Krawtschuk warnte in einer Rede im Parlament, sein Land befinde sich „am Rande eines Bürgerkriegs“.
Die Amnestie soll nach einer Forderung der Regierung nicht für schwere Vergehen gelten. Bei den Demonstrationen gegen Präsident Janukowitsch waren über 100 Menschen festgenommen worden.