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BERLIN
Altkanzler würdigt Altkanzler
SPD-Bundesparteitag       -  SPD-Parteitag: Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) ehrt den verstorbenen Altkanzler Helmut Schmidt.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa | SPD-Parteitag: Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) ehrt den verstorbenen Altkanzler Helmut Schmidt.
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 21.12.2015 03:53 Uhr

Im weiten Rund des „CityCube Berlin“, dem modernen Nachfolgebau der legendären Deutschlandhalle auf dem Areal des Berliner Messegeländes, ist es fast 20 Minuten lang mucksmäuschenstill. Die rund 600 Delegierten des SPD-Parteitags sind nicht nur leise, sondern sogar ergriffen. Denn zum Auftakt ihres dreitägigen Treffens, bei dem die Delegierten über mehr als 900 Anträge beraten und an diesem Freitag ihre gesamte Parteispitze neu wählen werden, gibt es eine Geschichtsstunde der besonderen Art: Altkanzler Gerhard Schröder, der von 1998 bis 2005 an der Spitze der rot-grünen Bundesregierung stand, würdigt einen anderen Altkanzler – Helmut Schmidt, von 1974 bis 1982 Chef einer sozialliberalen Regierung, der am 10. November kurz vor seinem 97. Geburtstag gestorben war. Und er erinnert an zwei weitere große Sozialdemokraten, die die Geschichte der ältesten Partei Deutschlands geprägt haben und ebenfalls in diesem Jahr starben, Günter Grass und Egon Bahr.

Kurz nur währt der Auftritt des Altkanzlers, mit dem große Teile der Partei wegen seiner Arbeitsmarktreformen und der „Agenda 2010“ noch immer hadern. Doch Schröder, der zum letzten Mal vor acht Jahren auf einem SPD-Parteitag aufgetreten ist, rühmt auf Wunsch von Parteichef Sigmar Gabriel den Literaturnobelpreisträger, den Architekten der sozialliberalen Ostpolitik und den früheren Bundeskanzler. Und verrät auch viel über sich und sein Verständnis von Politik, die Geschichte und die Traditionen der Sozialdemokratie.

Hätten doch Günter Grass, Egon Bahr und Helmut Schmidt gegen alle Widerstände an ihren Überzeugungen festgehalten, dem Druck nicht nachgegeben und das getan, was sie für richtig hielten. Vor allem aber hätten sie der SPD ein Vermächtnis hinterlassen: „Ihr Antrieb lautete, ohne Frieden ist alles nichts.“ Dies sei, „was uns Sozialdemokraten im Kern zusammenhält – und was uns von anderen unterscheidet“.

Grass, Bahr und Schmidt kenne er seit mehr als 40 Jahren, schon als Jungsozialist habe er sie begleitet, „nicht immer ohne Kritik“, wie er einräumt. „Später haben sie mich begleitet – auch nicht immer ohne Kritik.“ Gerne erinnere er sich an die Gespräche mit ihnen, auch wenn sie nicht immer einer Meinung gewesen seien. Alle drei, die die Schrecken der nationalsozialistischen Diktatur und des Zweiten Weltkriegs am eigenen Leibe erlebt hatten, hätten alles für den Aufbau eines friedlichen, freien und sozial gerechten Deutschlands getan.

Geradezu pathetisch fällt die Würdigung seines Vor-Vorgängers im Amte des Bundeskanzlers aus. „Er war ein wahrlich großer Kanzler, der Deutschland in der Welt zu einem geachteten, verlässlichen Partner gemacht hat.“ Er habe aber auch die SPD als „Partei der wirtschaftlichen Kompetenz“ in der Mitte der Gesellschaft verankert.

Dass SPD-Chef Sigmar Gabriel dies wieder versuche, sei nicht nur richtig, sondern verdiene auch Unterstützung. Da gibt es sogar verhaltenen Beifall im weiten Rund der modernen Multimediahalle unterm Funkturm. Vor allem aber habe Helmut Schmidt in schwierigen Zeiten geführt, Richtung und Orientierung vorgegeben und auf diese Weise Sicherheit vermittelt. Dass seine Haltung zum Nato-Doppelbeschluss von der Partei nicht mitgetragen wurde („ich schließe mich ein“), habe ihn nicht beirrt: „Er war bereit, das Wohl des Landes über das Wohl der Partei zu stellen“, er habe gar seine Kanzlerschaft geopfert – „eine Entscheidung, die einsam macht“. Das klingt für einen Moment, als würde Gerhard Schröder nicht über Helmut Schmidt, sondern über sich selber sprechen, als er an seiner „Agenda“-Politik festhielt.

Nach der Rede Schröders erheben sich die Delegierten von ihren Stühlen und klatschen lange. Parteichef Sigmar Gabriel verlässt seinen Platz und umarmt den Altkanzler. Eine kleine Geste mit großer Symbolik: Zehn Jahre nach der Wahlniederlage 2005 hat sich die SPD mit Gerhard Schröder wieder versöhnt und ihn in die Ehrengalerie ihrer großen Kanzler aufgenommen.

Die Kernthemen des SPD-Parteitags

Auf ihrem Bundesparteitag in Berlin befassen sich die Delegierten der Sozialdemokraten mit folgenden Kernthemen: Flüchtlingskrise: In einem Leitantrag macht sich die Führungsspitze der Sozialdemokratie für eine ehrgeizige Zuwanderungs- und Integrationspolitik mit einem neuen Einwanderungsgesetz stark. Außenpolitik: Außenminister Frank-Walter Steinmeier verteidigte zum Parteitagsauftakt die Beteiligung der Bundeswehr am internationalen Syrien-Einsatz gegen die Kritik der Parteilinken. Arbeitsmarkt: Die SPD will künftig mit neuen Modellen auf flexiblere und digitale Arbeitswelten sowie geänderte Ansprüche der Arbeitnehmer an Beruf und Privates reagieren. Familienpolitik: Mit einem steuergünstigen Familiensplitting sollen nach dem Willen der SPD künftig nicht nur Ehegatten, sondern auch die Kinder bei der Steuer berücksichtigt werden.

TTIP: Die SPD-Linke befürchtet, dass die Parteispitze beim Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) von aufgestellten roten Linien abrücken wolle und Konzerne doch mehr Rechte bekommen könnten. Doppelspitze: Die Frauen in der SPD fordern, dass auf allen Ebenen der Parteiorganisation Spitzenposten freiwillig doppelt besetzt werden können. Text: dpa

 
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