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PALERMO
Allein gegen die Mafia
Julius Müller-Meiningen
 |  aktualisiert: 16.11.2015 12:24 Uhr

Giuseppe Cimarosa sagt: „Doch, ich habe Angst.“ Er sitzt im Auto, ist gerade an den Straßenrand gefahren, um ans Handy zu gehen. Durchs Telefon sind vorbeifahrende Autos zu hören. Seine Stimme ist aufgeregt. Man muss den 32-Jährigen immer wieder unterbrechen in seinem Redefluss. „Ich schaue mich ständig um, aber wenn ich zu viel daran denke, werde ich verrückt.“

„Coming out“, nennt Cimarosa das, was er am Wochenende unter Tränen in Palermo gemacht hat. Es war Samstag, er war eingeladen zu einem Kurzvortrag bei der Ideen-Messe der Demokratischen Partei (PD) Siziliens und sagte unter anderem den Satz: „Ich habe das Pech, ein Verwandter von Matteo Messina Denaro zu sein.“ Man kann das Coming out nennen. Auf Sizilien kommen diese Worte einem Todesurteil gleich.

„Diesen Schandfleck entfernen“

Matteo Messina Denaro ist der letzte flüchtige Super-Boss der Cosa Nostra. Cimarosas Mutter ist Messina Denaros Cousine, seine Oma ist die Tante des 52-jährigen Bosses, der in Castelvetrano bei Trapani zur Welt kam. Hier lebt auch Giuseppe, dressiert Pferde, gibt Reitstunden und schreibt Theaterstücke. „Ein Verwandter von Messina Denaro zu sein, ist ein Problem, das man nicht lösen kann. Aber wer weiß, was das Dunkle und das Faule an dieser Figur ist, der darf nicht länger schweigen. Ich will mir diesen Schandfleck entfernen, in aller Öffentlichkeit.“ So sprach Giuseppe Cimarosa.

Es gibt wenige Beispiele in der italienischen Geschichte für eine solche Konfrontation mit der Mafia. Die sizilianische Cosa Nostra hat ihre große Blütezeit nach den Verhaftungen der Bosse aus Corleone, Bernardo Provenzano und Toto Riina, zur Jahrtausendwende hinter sich. Die Fäden, so glauben die Ermittler, laufen beim Mafia-Playboy Messina Denaro zusammen.

Denaro rühmt sich für die Zahl seiner angeblich über 50 Morde, Geld macht er unter anderem mit Drogenhandel und dem Abschöpfen von öffentlichen Förderungen bei Wind- und Solarenergie. Er ist der meist gesuchte Verbrecher Italiens. Was der Mafia in ganz Italien immer noch ihre große Relevanz gibt, ist das ungeschriebene Schweigegesetz, die sogenannte Omerta. Cimarosas mutige Wahl steht für eines der beiden entscheidenden Elemente im Kampf gegen die Mafia: das Brechen dieses Schweigens.

Ermittlungen und Festnahmen alleine, die die italienische Justiz teilweise sehr erfolgreich vorantreibt, sind nur ein Aspekt des Kampfes gegen das Organisierte Verbrechen. Der zweite Teil ist ein Mentalitätswandel, die innere Abkehr vom Schattenstaat der Mafia. Dazu gehört auch, dass der eigentliche Staat in den vom Verbrechen zersetzen Gegenden eine Alternative, also Arbeitsplätze, bietet.

Kein Polizeischutz

Um den Weg zu ebnen, der bereits von Antimafia-Organisationen und anderen Antimafia-Kämpfern, etwa dem Autor Roberto Saviano, eingeschlagen wurde, bedarf es mehr mutiger Coming outs im Stile Cimarosas. Nur so verliert die Mafia ihren Halt, den sie immer noch in gewichtigen Teilen der Bevölkerung hat.

Bei seinem Vortrag in Palermo erklärte Giuseppe Cimarosa auch, er und seine Familie wollten keinen Polizeischutz. Die Cimarosas hätten ihren Namen ändern und an einen geheimen Ort ziehen sollen, schlug die Polizei vor. „Ich sterbe lieber, als dass ich alles wegen Matteo Messina Denaro aufgebe“, sagt Cimarosa.

 
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