Es ist nur noch eine Frage des „Wie“. Der Mindestlohn kommt Anfang 2015 in Höhe von 8,50 Euro und fraktionsübergreifend äußern sich die Abgeordneten gleichermaßen stolz.
Keine Branche ist ausgeklammert – dennoch soll es Ausnahmen geben, für Spargelstecher, Erdbeerpflücker, Taxifahrer oder Zeitungsausträger zum Beispiel. Für sie können Arbeitgeber und Gewerkschaften noch bis Ende 2014 Tarifverträge mit niedrigeren Lohnuntergrenzen schließen. Die gelten dann längstens bis Ende 2016. Danach gelten flächendeckend mindestens die 8,50 Euro in der Stunde. Wer nach Stücklohn bezahlt wird, soll das auf Mindestlohn umgerechnet bekommen.
Doch bei der Frage nach der Umsetzung scheiden sich die Geister selbst in den Koalitionsparteien in der ersten Debatte des Bundestags am gestrigen Donnerstag.
Nach Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) profitieren mehr als fünf Millionen Menschen vom „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie“, die bislang von Dumpinglöhnen leben. Mehr als drei Millionen Arbeitnehmer seien durch Branchenmindestlöhne geschützt, ohne dass es zu den von manchen befürchteten Arbeitsplatzverlusten gekommen sei. Dennoch gebe es in der Tariflandschaft „große weiße Flecken“. „Wir brauchen eine klare Grenze nach unten, und das geht nur mit einem klaren gesetzlichen Mindestlohn“, sagt die Ministerin.
Doch wirklich alle Berufstätigen unter den Schutz des Mindestlohns zu stellen, sieht auch der Gesetzesentwurf des Arbeitsministeriums nicht vor. Keine Untergrenze soll es demnach für unter 18-Jährige ohne Ausbildung geben. Auch Langzeitarbeitslose, die neu in den Beruf starten, können sechs Monate lang weniger als 8,50 Euro verdienen.
„Wir brauchen
eine klare Grenze
nach unten.“
Genau da setzt die Kritik der Oppositionsparteien an. Klaus Ernst (Schweinfurt), Fraktionsvize der Linken, wiederholt mehrmals in seiner Rede die klare Forderung an die Regierung: „Hören Sie auf mit den Ausnahmeregelungen für junge Leute und Langzeitarbeitslose!“ Diese Regelung verstoße gegen die Würde der Betroffenen. Als einziger Redner stellt er sich auch gegen die Höhe des Mindestlohns: 8,50 Euro lösten das Problem der Altersarmut nicht mal ansatzweise.
Ähnlich lauten die Argumente der Grünen. „Zwei Millionen Erwerbstätige würden mit den Ausnahmeregelungen herausfallen“, wirft Grünen-Vizefraktionschefin Kerstin Andreae der Regierung vor. „Ohne wirksame Verbesserung bleibt das eine Show-Veranstaltung.“ Ihre Parteikollegin, die Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer, sieht in den Ausnahmen für bestimmte Gruppen „ein Bauernopfer, das die SPD der Union für den Mindestlohn geben musste“.
Langzeitarbeitslose seien schwieriger zu vermitteln und junge Menschen nicht mehr bereit, eine Ausbildung zu beginnen, sollten sie als Ungelernte bereits mehr verdienen, lautet das Regierungsargument, das die Ausnahmeregelungen erklären soll. Doch dass zumindest in der Einschränkung für Schüler selbst parteiintern Zweifel bestehen, bestätigt Daniela Kolbe von der SPD, indem sie aus einer Schülerbefragung zitiert: „Ausbildung ist Pflicht, ohne geht es nicht.“ Andere Schüler wehren sich gegen die Vermutung, ein Leben lang von 8,50 Euro leben zu wollen.
Auch die Union will bei Fragen der Umsetzung nachjustieren. Der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Karl Schiewerling, äußert seine Bedenken gegenüber Berufen, die von günstigen Löhnen leben. Saisonarbeiter beispielsweise oder Taxifahrer, die ihre Kilometertarife in der Regel nicht selbst bestimmen können. Auch die Regelungen für Praktikanten müssten nach Schiewerling gelockert werden, da gerade Geisteswissenschaftler häufig durch das Praktikum in den Beruf finden.