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„Alle müssen vom hohen Ross runter“
Ude und Griechenland: Der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude und seine Frau Maria von Welser haben ein Haus auf der griechischen Ferieninsel Mykonos.
Foto: discovergreece.com | Ude und Griechenland: Der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude und seine Frau Maria von Welser haben ein Haus auf der griechischen Ferieninsel Mykonos.
reda
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:03 Uhr

Schon in seiner Zeit als Oberbürgermeister von München hatte Christian Ude viel mit Griechen zu tun. Später kam die private Sehnsucht dazu. Als die Einladung eines befreundeten Paars auf die Insel Mykonos kam, waren der SPD-Mann Ude und seine Frau, die Journalistin Maria von Welser, hin und weg. „Dann haben wir gesehen, dass in der Nachbarschaft gebaut wird, und uns furchtbar darüber entrüstet, dass die alles zubauen müssen!“, erinnert der 67-Jährige sich – um schließlich selbst das entstehende Ferienhaus zu kaufen. Heute ist Christian Ude Ehrenbürger von Mykonos.

Frage: Herr Ude, Sie kommen gerade von Mykonos, lieben Griechenland und die Griechen. Wie geht es Ihnen, wenn Sie die aktuellen Nachrichten hören?

Christian Ude: Das tut mir wirklich in der Seele weh, was sich jetzt abspielt. Ich bin ja nicht nur als Feriengast ein Griechenland-Liebhaber, sondern dem Land auch beruflich verbunden. Wir haben uns seit Jahrzehnten um die Gastarbeiter gekümmert, wir haben die Opfer der griechischen Militärjunta als Asylbewerber aufgenommen und mit ihnen politisch zusammengearbeitet.

In München habe ich als OB immer gelobt, dass die Griechen wie keine andere Ausländergruppe eine gekonnte Integration an den Tag legen, weil sie einerseits ihre Sprache, Kultur und Religion pflegen, aber andererseits auf die Mehrheitsgesellschaft zugehen und den Brückenschlag mit dem Gastland vollendet hinbekommen. Dann kommt diese Finanzkrise, bei der ich über alle Beteiligten enttäuscht bin.

Sie sind nicht nur von den Griechen und der Regierung Tsipras enttäuscht?

Ude: Ich bin weit entfernt davon, denen allein die Schuld zu geben. Wir müssen wissen: Der Geburtsfehler des Euro ist, dass es zur gemeinsamen Währung keine gemeinsame Währungspolitik gibt, sondern unterschiedliche nationale Wirtschafts- und Finanzpolitikvarianten. Das kann man also nicht den Griechen allein in die Schuhe schieben.

Aber liegt die Hauptverantwortung für die Fehler nicht in Griechenland?

Ude: Ja. Die Griechen können sich über ihre Verschuldung nicht beklagen, wie sie es jetzt tun. Sie haben die Kredite gewollt, um eine aberwitzig aufgeblähte Staatsverwaltung zu finanzieren, um einen aberwitzig überzogenen Rüstungsetat aufrechtzuerhalten. Sie gewähren Sozialleistungen, die sich die meisten Kreditgeber in ihren Ländern nicht leisten. Die Griechen sollen nicht die Unschuld vom Lande spielen. Sie haben über ihre Verhältnisse gelebt.

Was werfen Sie dann den anderen EU-Ländern vor?

Ude: Die Geberländer haben durch hohe Zinsen zunächst profitiert. Sie haben unverantwortliche Kredite gegeben – vor allem 2010 und 2011, als die Unmöglichkeit der Rückzahlung schon auf der Hand lag. Die Geberländer sind auch an der Korruption in Griechenland beteiligt. Das geht hin bis zu Konzernen mit Sitz in Deutschland, die munter Schmiergelder haben fließen lassen. Auch die Bundesregierung hat die Griechen geradezu gedrängt, völlig überflüssige U-Boote zu kaufen.

Wie holt man das griechische Kind wieder aus dem Brunnen?

Ude: Alle Beteiligten müssen vom hohen Ross herunter – vor allem die Parteien. In Griechenland war es unverantwortlich, was sowohl die sozialistische Pasok als auch die konservative Nea Dimokratia angestellt haben an Günstlingswirtschaft, an Staatsaufblähung und Politik auf Pump. Beide sind ja eingebettet in ein Bündnis von Schwesterparteien. Da müssen auch wir Sozialdemokraten uns leider an die eigene Nase fassen. Wir haben die Pasok niemals zur Räson gerufen, und die Konservativen nie die Nea Dimokratia. Die Versäumnisse sind breit gestreut. Von allen Akteuren steht niemand als Heiliger da. Die Banken sind Risiken eingegangen, die sie normalerweise weder bei einem Häuslebauer noch einem mittelständischen Unternehmer eingehen.

„Der Grexit würde eine Verelendung der Bevölkerung bedeuten.“
Christian Ude, Münchens Ex-OB und Ehrenbürger von Mykonos
Aber geht die jetzige Eskalation der Krise nicht vor allem auf die neue Regierung von Syriza zurück?

Ude: Es schmerzt mich als Griechenland-Freund, wie die Pleiteregierung in Athen mit 18 Demokratien umspringt, sie Nacht für Nacht an der Nase herumführt, mit willkürlichen Ultimaten und Kursänderungen quält.

Das ist nicht mitanzusehen. Der Schaden für Europa ist bereits durch einen atemberaubenden Vertrauens- und Autoritätsverlust eingetreten. Das ist ein großer Sündenfall der griechischen Politik.

Gibt es noch einen Ausweg, der am griechischen Euro-Ausstieg vorbeiführt?

Ude: Ich war immer für Hilfen unter Auflagen. Vor allem war ich der Meinung, dass die Milliardäre und Multimillionäre in die Pflicht genommen werden, ihren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens zu leisten, wie es in allen anderen EU-Ländern selbstverständlich ist. Aber nicht mal da gibt es echte Fortschritte. Die Liste des IWF mit griechischen Steuerflüchtlingen wäre ein Einstieg gewesen. Aber da stellt sich heraus: Die angeblich so linke Regierung ist gar nicht links – ganz im Gegenteil. Die angeblich radikalen Linken haben ihrem rechtspopulistischen Koalitionspartner alle erdenklichen Zugeständnisse gemacht, um die Superreichen im eigenen Lande zu schonen.

Warum kam zum Beispiel die Türkei aus ihrer Wirtschaftskrise gut heraus, und die Griechen nicht?

Ude: Die Frage ist geradezu peinlich für die Europäische Union. Den Türken war von Anfang an klar, dass sie sich selber aus dem Schlamassel herausarbeiten müssen. Griechenland indessen hat so lange von der EU-Geldschwemme und den schier unbegrenzten Kreditmöglichkeiten profitiert, dass man das geliehene Geld bereits für wohlverdientes Geld gehalten hat und Anstrengungen gegenüber immer ablehnender wurde. Bis auf den heutigen Tag herrscht die Meinung vor, dass es Sache der europäischen Partnerländer sei, sie gefälligst aus dem Graben zu ziehen. Diese Mentalitätsfrage ist das Entscheidende: Ich bin ja gerade öfter in der Türkei und berate auch Institutionen. Dort ist klar, Geld, das man nicht hat, kann man nicht ausgeben. Bei den Griechen ist das so noch nicht angekommen.

Wäre der Ausstieg aus dem Euro die beste Lösung für Griechenland?

Ude: Der Grexit würde für die Griechen keine tollen ökonomischen Sprünge bedeuten, wie manche glauben. Dass mit der Drachme mehr Touristen ins Land kommen, das stellen sich einige viel zu einfach vor. Zunächst würde es den vollständigen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes bedeuten. Das hieße eine Verelendung der Bevölkerung. Und wenn es zum Grexit kommt, werden die reichen und superreichen Griechen, die ihre Millionen längst ins Ausland gebracht haben, in Griechenland den Notleidenden für einen Apfel und ein Ei abluchsen können, was bis gestern noch deren Lebensgrundlage war: Grundstücke oder deren Häuschen. Dann wird auf entsetzliche Weise deutlich werden, dass die Regierung Tsipras die Regierung der Reichen und Superreichen war. Denn sie hätte es dann Millionären ermöglicht, das eigene Land aufzukaufen.

 
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