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Alle gegen eine
Stefan Lange
 und  Bernhard Junginger
 |  aktualisiert: 12.11.2019 02:10 Uhr

Der Weg ins Kanzleramt ist für Annegret Kramp-Karrenbauer gerade wie zubetoniert. Vor dem Gebäude im Berliner Regierungsviertel werden im Moment die Straßen aufgerissen und neu geteert. Holprig geht es zu. Es braucht nicht viel Fantasie und Sinn für Symbolik, um diesen Anblick auf die aktuelle politische Lage in der Hauptstadt zu übertragen. Genau ein Jahr ist es her, dass Angela Merkel am 29. Oktober 2018 ihrer Partei den Verzicht auf den Vorsitz angeboten hatte. Seither ist vieles anders geworden in der CDU. Aber nur wenig besser. Kramp-Karrenbauer jedenfalls, ehemals hoch anerkannte Ministerpräsidentin im Saarland, dann CDU-Generalsekretärin, gerät zunehmend in Bedrängnis. Denn im politischen Spiel um die Macht heißt es gerade: Alle gegen eine.

Einen Tag nach der Landtagswahl in Thüringen und knapp vier Wochen vor dem CDU-Parteitag in Leipzig liegt ein Hauch von Aufstand in der Luft. Die neue Chefin trete einfach in zu viele Fettnäpfchen, heißt es, sie agiere unglücklich. Erst der Streit mit dem Youtuber Rezo, dann der Syrien-Vorstoß, nun auch noch eine Landtagswahl, deren Ergebnis für schockierte Gesichter sorgt. Zu viel für eine Partei, die ob des zunehmenden Machtverlustes ohnehin hochgradig nervös ist.

In der Sitzung muss es hoch her gegangen sein

„Das war eindeutig eine Wahl gegen die Bundespolitik“, sagt am Montag eine langgediente Christdemokratin. Während sie schimpft, ringen parallel im Konrad-Adenauer-Haus Bundesvorstand und Präsidium um Worte. Wie konnte es passieren, dass die Partei in Thüringen ein Drittel der Stimmen verliert? Es geht hoch her in der Sitzung, verlautet aus Teilnehmerkreisen. Der Ton bleibe zwar überwiegend sachlich, aber Kramp-Karrenbauer sei in der Defensive. Der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, zählt sie an und stellt ihre Führungsqualitäten und damit ihre Zukunft in Frage. Der JU-Chef weiß sich in guter Gesellschaft.

Viele Politikfelder stoßen in der Bevölkerung auf Widerspruch

„Die Wahlniederlage in Thüringen ist die logische Konsequenz einer gefühlt inhaltsleeren Politik der Bundes-CDU“, sagt der Karlsruher Bundestagsabgeordnete Axel Fischer. Fischer ist Mitglied des CDU/CSU-Fraktionsvorstandes, auf Anhieb kann er Beispiele für die Fehler seiner Partei aufzählen: „Wer kämpft noch für Steuererleichterungen für die Menschen und gegen ständige Energieverteuerung?“ Auch die Zuwanderungspolitik der Bundesregierung, sagt Fischer, sei widersprüchlich. Er verweist auf „die schleppende Integration der Migranten, mangelhafte Abschiebungen von kriminellen Ausländern und teilweise monatelange Wartezeiten ausgebildeter Fachkräfte auf ein Visum nach Deutschland“. Hinzu kämen „ungedeckte Rentenversprechen, unerfüllbare ideologische Forderungen an die Landwirtschaft und eine übertriebene Gängelung der Autofahrer“. Fischer nennt Kramp-Karrenbauer nicht beim Namen, aber wer, wenn nicht die Vorsitzende sollte den Kurs für die Partei vorgeben?

Fragen, die AKK wie ein Schulmädchen dastehen lassen

Natürlich ist der Vorsitzenden nicht entgangen, wie seit Monaten an ihrem Stuhl gesägt wird. Dass aber immer mehr Parteifreunde gleich zum Beil greifen, das muss der CDU-Chefin Angst machen. Und zwar so richtig. Der stets freundliche Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, etwa, gefällt sich ganz gut in der Rolle des möglichen Kanzlerkandidaten. Bislang aber hielt er sich zurück mit Kritik an AKK, äußerte sie allenfalls zaghaft. Bei einem Auftritt in Augsburg am Wochenende müht er sich noch, das Thema mit Worthülsen zu umschiffen. „Ich bewerte weder Frau Kramp-Karrenbauer noch Herrn Merz“, sagt er – und tut es dann doch. Der Syrien-Vorstoß der Verteidigungsministerin öffnete ein Ventil. „Was meint sie? Meint sie eine UN-Blauhelmmission? Meint sie einen Kampfeinsatz? Da sind viele Fragen offen“, sagt er nur scheinbar harmlos. Es sind Fragen, die AKK wie ein Schulmädchen dastehen lassen. Die vergeigte Wahl in Thüringen öffnet die Tür für alle Kritiker dann noch ein Stück weiter.

Streitereien in der Bundes-CDU waren nicht von Vorteil

Denn Laschet ist eben nur einer von vielen. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer erzählt den Fernsehkameras am Montag, dass er eine schlaflose Nacht hinter sich habe und „die Sorge, dass bei der Bundes-CDU alles weitergeht wie bisher“. Seine Aufforderung ist deutlich: „Nur wenn man die Sachen wirklich klar beim Namen benennt und bereit ist, auch Konsequenzen zu ziehen, kann es hier einen Aufwärtsschub geben.“ Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff setzt seine Nadelstiche in der Talkshow „Anne Will“. „Streitereien zwischen Verteidigungsministerin und Außenminister“ hätten das Bild geprägt und den Wahlkampf erschwert, referiert er in Anspielung auf den Streit um die Syrien-Politik. Der Thüringer Wahlverlierer Mike Mohring weist ebenfalls mit dem Finger nach Berlin. Dort dürfe es kein Weiter-so geben. „Das verlangt eine neue Prüfung, wohin will man eigentlich als Volkspartei“, fordert Mohring – da hatte er gerade erst den obligatorischen Trost-Blumenstrauß aus den Händen von AKK und Kanzlerin Angela Merkel entgegen genommen. „Die Bürger haben doch deutlich gesagt, dass sie, so wie das läuft im politischen Deutschland, nicht einverstanden sind.“

Nur die Bayern halten noch still

Auffallend ruhig bleibt es ausgerechnet im sonst so renitenten Bayern – obwohl auch hier im stillen Kämmerlein die Fäuste geballt werden. Denn so sehr man noch vor einem knappen Jahr versucht hat, sich mit der neuen Vorsitzenden der Schwesterpartei zu arrangieren, so sehr zweifelt man in München inzwischen an der Kanzlertauglichkeit AKKs. Für die CSU-Strategen ist diese Diagnose sogar doppelt bitter: Zum einen glauben sie, dass die Vertrauenskrise in Berlin auch die eigenen Umfragewerte in den Keller zieht. Und einiges spricht für diese Annahme. Denn sowohl Ministerpräsident Markus Söder als auch die Landesregierung an sich werden von den Wählern positiv beurteilt – doch über die bei der Landtagswahl erkämpften 37 Prozent geht es für die CSU in den Umfragen einfach nicht hinaus.

„Wir regieren in Berlin mit, da werden wir natürlich in Mitverantwortung genommen“, sagt ein sichtlich entnervter bayerischer Finanzminister Albert Füracker.

Wer ist der bessere Kanzlerkandidat?

Und dann ist da noch ein anderer Haken: Nicht wenige in der CSU halten nämlich nicht Annegret Kramp-Karrenbauer, sondern den eigenen Ministerpräsidenten Söder für den geborenen Kanzlerkandidaten. Doch so richtig aus der Deckung trauen sie sich damit nicht. Zu tief hat es sich in das Gedächtnis der Partei eingebrannt, dass die CSU schon zweimal mit ihren Kanzlerkandidaten gescheitert war. Ein Bayer, so scheint es fast, wird niemals das Kanzleramt erobern. Und so schweigt man lieber im Maximilianeum und hofft vielleicht, dass die Zeit helfen könnte. Eine Revolution, so die Erfahrung aus den vergangenen Jahren, als Innenminister Horst Seehofer beinahe die Berliner Regierung zerlegt hätte und die CSU gleich mit, frisst am Ende doch nur die eigenen Kinder.

Die Führung will AKK nicht aus der Hand geben

Darauf verlassen, dass sich der Sturm wieder legt, sollte sich AKK trotzdem nicht. Sie weiß das – und geht in die Offensive. Natürlich hätten die massiven Verluste in Thüringen auch mit dem Bild der Großen Koalition zu tun – und der „hinlänglich bekannten“ Diskussion in der Union, sagt sie mit tief heruntergezogenen Mundwinkeln. Doch sie untermauert eben auch ihren Machtanspruch und will die Führung nicht aus der Hand geben. Es sei in der Vergangenheit bei der CDU immer so gewesen, dass Vorsitz und Kanzlerschaft in einer Hand gelegen hätten. „Und zwar aus gutem Grund“, unterstreicht Kramp-Karrenbauer bei einer Pressekonferenz, die wegen des „intensiven Diskussionsbedarfs“ der Parteispitze später beginnt als geplant und nur kurz ist. „Weil dann, wenn das nicht der Fall ist, man die Unruhe spürt, die wir zur Zeit auch in der Partei haben.“

Beim Bundesperteitag in Leipzig könnte es zum Showdown kommen

Kramp-Karrenbauer appelliert an die Kritiker. „Diese Situation erfordert jetzt im Moment ein Höchstmaß an Verantwortung“, sagt sie. „Ich bin dieser Verantwortung in dieser Debatte bisher gerecht geworden. Und alle anderen müssen sich entscheiden, ob sie dieser Verantwortung auch gerecht werden wollen.“ An mir liegt es nicht, soll das heißen, die Parteichefin versucht, den gegen sie gerichteten Speer umzudrehen. „Wer immer meint, die Frage müsse jetzt in diesem Herbst entschieden werden, der hat auf dem Bundesparteitag dazu die Gelegenheit.“

Es ist durchaus wahrscheinlich, dass es in Leipzig zum Showdown kommen wird. Bis dahin könnte es aber noch enger werden für die Vorsitzende. Da ist zum Beispiel die Frage, wie es in Thüringen weitergeht. CDU-Landeschef Mohring macht deutlich, dass er mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow Gespräche führen wird. Ein Bündnis mit der Linkspartei aber ist für die Union so etwas wie ein Pakt mit dem Teufel. Sogar einen Parteitagsbeschluss gibt es dazu. Ob Mohring sich daran hält, ist offen. Meutert er, hätte AKK das nächste Problem. Auf Mohrings Gesprächsangebot an Bodo Ramelow kontert Kramp-Karrenbauer kühl: „Das nehmen wir zur Kenntnis. Alles andere wird sich in den nächsten Wochen noch mal zeigen.“

Deutsche Außenpolitik wird zum Spielball innenpolitischer Profilierung

Und diese Wochen werden hart. Denn es ist ja auch nicht so, dass Annegret Kramp-Karrenbauer sich aufs Parteiamt konzentrieren könnte. Als Verteidigungsministerin läuft es für sie gerade ähnlich schlecht. Ihr Vorschlag, eine Sicherheitszone in Nordsyrien einzurichten, gerät zum politischen Rohrkrepierer. Gut gemeint, aber unrealistisch, so der freundlichere Tenor. Andere sprechen von einem waghalsigen Manöver, bei dem das Leben deutscher Soldaten aufs Spiel gesetzt wird. Vom Ansehensverlust deutscher Außenpolitik, die als Spielball innenpolitischer Profilierung genutzt wird, ganz zu schweigen.

Abgekanzelt, gedemütigt und vorgeführt

Besonders heftig hat Außenminister Heiko Maas (SPD) seine Kabinettskollegin gerade auflaufen lassen. Beim Gespräch mit seinen türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu habe der Vorschlag der deutschen Verteidigungsministerin keinerlei Rolle gespielt, sagt Maas und ätzt: „Für Dinge, die im Moment eher theoretischen Charakter haben, hat uns die Zeit gefehlt, weil den Menschen in Syrien Zeit für theoretische Debatten fehlt.“ Kramp-Karrenbauer steht abgekanzelt, gedemütigt und vorgeführt da. Dass Maas die schmutzige Wäsche der Bundesregierung ausgerechnet in der Türkei wäscht, dem Land, das mit seiner Invasion in Syrien international für einen Aufschrei der Empörung sorgt, macht den Affront perfekt. Dabei kennen und schätzen sich Maas und Kramp-Karrenbauer eigentlich. Maas war einst im Saarland Koalitionspartner und Stellvertreter von Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer.

Schützenhilfe von der Kanzlerin müsste anders aussehen

Diejenigen, die schon an ihren innenpolitischen Fähigkeiten zweifeln, sind nun überzeugt, dass die Saarländerin auch außenpolitisch kaum überzeugen kann. Nicht einmal auf Rückendeckung durch Angela Merkel kann sie bauen. „Die Bundeskanzlerin unterstützt beide Minister in ihren Bemühungen“, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin zu dem Konflikt. Die Meinungsbildung der Bundesregierung zur Frage einer Schutzzone sei „noch nicht abgeschlossen“. Schützenhilfe sieht anders aus. Wie es heißt, sei Merkel zwar über die Überlegungen ihrer Wunsch-Nachfolgerin im Bilde gewesen. Dass die Verteidigungsministerin ihren Plan dann ohne Abstimmung mit Partnern verkündete, habe aber auch sie irritiert.

Einzig bei der Bundeswehr hat sich AKK nach gut hundert Tagen im Amt als Verteidigungsministerin so etwas wie Anerkennung verschafft. Die Soldaten danken ihr ihren Einsatz für kostenlose Bahnfahrten oder Fortschritte im Beschaffungswesen. Ausreichen wird das nicht. Der Plan, sich im Verteidigungsministerium für eine Kanzlerkandidatur in Position zu bringen, geht für Kramp-Karrenbauer bislang jedenfalls nicht auf.

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Nach Angriff in Halle/Saale - Pressekonferenz       -  _
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