
Das historisch schlechte Abschneiden der CDU bei der Europawahl hatte Annegret Kramp-Karrenbauer am Wahlsonntag bereits einige Kritik eingetragen. Das war aber gar nichts im Vergleich zu dem Sturm der Entrüstung, der am Montag und Dienstag über sie hereinbrach. Mit ein paar Überlegungen zu der Frage, ob Deutschland Regeln für den digitalen Bereich braucht, brachte AKK nicht nur die Netzwelt, sondern auch die eigenen Reihen gegen sich auf. Nachdem die CDU sich beim Umgang mit dem Video des Youtubers Rezo blamiert hatte und auch den Wahlboykott von 70 Youtubern nicht angemessen konterte, gerät die Partei in der Auseinandersetzung mit der digitalen Welt immer mehr ins Hintertreffen.
Die fatalen Sätze fielen bei einer Pressekonferenz am Montag im Konrad-Adenauer-Haus. Die CDU-Vorsitzende trat dort auf, weil das nach großen Wahlen so üblich ist. Gefragt wurde unter anderem, warum die CDU so viele junge Wähler verloren hat. Eins kam zum anderen. Mit Blick auf den Youtube-Aufruf gegen die CDU und andere Parteien gebrauchte sie das Wort „Meinungsmache“. Und zum Schluss sagte AKK: „Und die Frage stellt sich schon mit Blick auf das Thema Meinungsmache: was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich?“
"Beispielloser Angriff auf die Meinungsfreiheit“
Als einer der ersten reagierte der parlamentarische Geschäftsführer der Linken-Fraktion im Bundestag, Niema Movassat, und geißelte einen „beispiellosen Angriff auf die Meinungsfreiheit“. FDP-Chef Christian Lindner warf Kramp-Karrenbauer vor, sie erwäge „die Regulierung von Meinungsäußerungen vor Wahlen“. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erklärte, seine Partei werde sich Kramp-Karrenbauers Einschätzung nicht zu Eigen machen.
Die Journalistengewerkschaft DJV wies AKKs Vorstoß zurück. Ihr Vorsitzender Frank Überall sagte der „Heilbronner Stimme“, die Äußerungen erweckten „den fatalen Eindruck, dass sie das Grundrecht der Meinungsfreiheit schleifen will. Hier kann ich nur sagen: Wehret den Anfängen!“ Die CDU-Chefin habe offenkundig „keinen Plan, wie man mit freien Meinungsäußerungen im Internet umgehen müsse".
Über Stunden nahm das Twitter-Gewitter immer mehr an Umfang zu. Selbst in der eigenen Partei wurde Kramp-Karrenbauer kritisiert. „Es sollte nicht der Eindruck erweckt werden, dass die CDU nach suboptimaler Wahlkampfführung und fragwürdigen Schuldzuweisungen für das bescheidene Wahlergebnis jetzt zensorische Maßnahmen fordert, um der CDU-Parteizentrale zukünftig erfolgreichere Wahlkämpfe zu ermöglichen“, sagte der Karlsruher CDU-Abgeordnete Axel Fischer unserer Redaktion und griff damit die Verantwortlichen im Konrad-Adenauer-Haus direkt an. Die CDU müsse „realistische Perspektiven aufweisen und überzeugende Antworten zur Lösung bestehender virulenter Probleme jenseits einfallsloser und freiheitsfeindlicher Verbotsaktionen entwickeln und offensiv vertreten“, forderte Fischer, der auch Mitglied des Unions-Fraktionsvorstandes ist.
Wirtschaftsrat der CDU: "Wir müssen mit der Jugend anders kommunizieren"
Fischer war einer der wenigen, der sich öffentlich über die Zustände in der Parteizentrale äußerte. In CDU-Kreisen gärt es aber schon seit geraumer Zeit ganz gewaltig. Seitdem der Youtuber Rezo die „Zerstörung der CDU“ forderte und der Partei tagelang keine Antwort einfiel, sind die Zweifel an der Kommunikation im Hause noch stärker geworden.
Der honorige Wirtschaftsrat der CDU schüttelte gemeinsam die teils schon ziemlich schütteren Haare vor Unverständnis. „Was wir davon halten? Gar nichts“, sagte Präsident Werner Bahlsen und ergänzte: „Wir sind natürlich als Demokraten hier in Deutschland für die freie Meinungsäußerung. Wenn man da auch nur irgendwie dran rüttelt, dann bricht für mich ein Weltbild zusammen“. Die Szene verändere sich, aber die Politik habe bislang nicht begriffen „was da so abgeht“, und das gelte „gerade für die CDU“. Das Beispiel des Rezo-Videos sei vielleicht ein Extrem. Es zeige aber, „dass wir mit der Jugend anders kommunizieren müssen“.
Angesichts der heftigen Kritik versuchte sich Kramp-Karrenbauer an einer Verteidigung. „In der aktuellen Debatte geht es nicht um Einschränkung der Meinungsfreiheit“, erklärte sie. Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt würden von der CDU immer verteidigt. Kramp-Karrenbauer wies auch darauf hin, dass die Debatte nicht neu ist, sondern bereits „in Parteien, der Wissenschaft, Gesellschaft und Medien geführt und gefordert werde“.
Kramp-Karrenbauers Rücktritt wurde zwar nicht gefordert. Gestärkt geht die CDU-Vorsitzende aus diesem Zwischenfall aber auch nicht hervor. Eine Änderung könnte die Vorstandsklausur der CDU am Sonntag und Montag bringen. Die Partei will dabei über das Thema "asymmetrische Wahlkampfführung" sprechen, gemeint ist damit der Einfluss des Netzes. Denkbar sind zudem personelle Veränderungen im Bereich der Kommunikation des Konrad-Adenauer-Hauses.