
Almaz Böhm sitzt mit Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) in einem Bauernhof im äthiopischen Hochland und lacht. In den letzten Wochen hat man die Ehefrau des 85-jährigen Karlheinz Böhm selten lachen sehen. Sie hatte wenig zu lachen. Der ehemalige Großspender Jürgen Wagentrotz hatte der Organisation unter anderem vorgeworfen, verschwenderisch mit Spendengeldern umgegangen zu sein. In Deutschland beschäftigen sich damit Anwälte, hier, in Äthiopien, scheinen diese Probleme weit weg zu sein. Hier erklärt Almaz Böhm Ilse Aigner, dass die von ihr geleitete Organisation durch Schulen, Krankenhäuser und Investitionen in die Landwirtschaft nicht nur das Leben des Bauern verbessert hat, der sie und die Ministerin zum Kaffee eingeladen hat, sondern das Leben von 54 000 Menschen im Projektgebiet Asagirt. Die Ministerin ist begeistert.
Der Besuch der Ministerin ist für Böhm der Abschluss einer guten Woche. Bereits am Montag hatte die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG „Menschen für Menschen“ bescheinigt, dass es für Jürgen Wagentrotzs Vorwurf der Bilanzfälschung keine Anhaltspunkte gibt. Allerdings sei es zu geringfügigen buchungstechnischen Versäumnissen und Ungenauigkeiten gekommen.
Den Mitarbeitern Mut machen
Wagentrotz hatte der Stiftung zwischen 2004 und 2011 mehr als sieben Millionen Euro gespendet. Doch dann kam es zum Zerwürfnis zwischen dem Großspender und „Menschen für Menschen“. Daraufhin warf der Bewunderer des als Kaiser Franz Joseph in der „Sissi“-Trilogie bekannt gewordenen Schauspielers der Organisation unter anderem vor, seine Zuwendungen seien illegal abgerechnet worden, ein geplantes neues Verwaltungsgebäude in der äthiopischen Hauptstadt sowie viele der 326 in den letzten 32 Jahren erbauten Schulen seien unter anderem auf Grund zweifelhafter Ausschreibungsverfahren viel zu teuer gewesen. Von Verschwendung im großen Stil war die Rede. Zudem würden viele Schulen, nachdem sie – wie in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit üblich – an den Staat übergeben würden, nicht ordentlich in Stand gehalten.
Die Schule, die Almaz Böhm Ilse Aigner zeigt, ist tadellos in Schuss. „Es ist fast unglaublich, was 'Menschen für Menschen' hier erreicht hat“, sagt die CSU-Politikerin, nachdem sie eine Schule, eine Gesundheitsstation und einen Bauern besucht hat. Die Ministerin hatte den Besuch geplant, lange bevor die Vorwürfe gegen die Organisation bekannt wurden. Und auch als es hässliche Schlagzeilen gab, hatte sie nie daran gedacht, den Besuch abzusagen. „'Menschen für Menschen' ist durch eine erste Untersuchung ja schon stark entlastet worden. Ich bin auch gekommen, um den Mitarbeitern, die vor Ort tolle Arbeit leisten, Mut zu machen“, sagt die Landwirtschaftsministerin. In Äthiopien leben mehr als 80 Prozent der Bevölkerung von ihren Feldern – doch die Erträge gehören zu den geringsten weltweit.
Im „Menschen für Menschen“-Projektgebiet Asagirt konnte die Produktivität durch effektivere Anbaumethoden schon verbessert werden. Überhaupt erscheinen die Vorwürfe des Großspenders hier, rund 125 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Addis Abeba, nicht zuzutreffen.
Imageschaden nach Vorwürfen
Seit 2007 hat „Menschen für Menschen“ in dem 437 Quadratkilometer großen Gebiet neun Schulen, ein Gesundheitszentrum, 98 Wasserstellen und fast 100 Kilometer Straße gebaut, über sieben Millionen Baumsetzlinge zur Wiederaufforstung des ausgelaugten und stark erosionsgefährdeten Landes verteilt, fast 40 000 freiwillige HIV-Tests durchführen lassen. Wagentrotz hat sich früher oft selbst solche Projekte angeschaut und sie danach meist überschwänglich gelobt, bis sein Feldzug gegen Karlheinz Böhms Stiftung begann, der mit einer offensichtlich persönlichen Fehde gegen Almaz Böhm einhergeht, die im November 2011 den Stiftungsvorsitz von ihrem Ehemann übernommen hatte. Der einstige Großspender wirft ihr vor, sich nicht genug um ihren alten, kranken Mann zu kümmern, mit der Leitung der Hilfsorganisation überfordert zu sein und kritisierte ihr Jahres-Bruttogehalt in Höhe von 105 800 Euro. Doch nach dem entlastenden Urteil der KPMG-Wirtschaftsprüfer kann die so Angegriffene erst mal durchatmen. Aber das Gutachten ist nur ein Etappensieg – mehr nicht. Noch liegt das Ergebnis einer Sonderprüfung des Deutschen Zentralinstituts für Soziale Fragen nicht vor.
Die Einrichtung hatte der Hilfsorganisation seit 1992 nach sorgfältiger Prüfung jedes Jahr das Spenden-Siegel für transparente und effiziente Hilfe erteilt. Im schlimmsten Fall droht jetzt der Entzug des Qualitätsmerkmals. Bis das Ergebnis der Untersuchungen vorliegt, könnten noch Wochen vergehen. Selbst wenn sich alle Vorwürfe des gelernten Hotelkaufmanns dann als haltlos erweisen sollten – der Imageschaden für „Menschen für Menschen“ ist schon jetzt enorm. Langjährige, prominente und potente Unterstützer wendeten sich bereits ab, das Spendenaufkommen von bislang zwölf bis 14 Millionen Euro pro Jahr ging zurück.
Almaz Böhm sagt, dass sie über den Besuch der Ministerin „in dieser schwierigen Zeit überglücklich“ ist. Doch über Wagentrotz will und darf sie bei ihrem Besuch in Asagirt nicht sprechen. Denn „Menschen für Menschen“ und Jürgen Wagentrotz haben sich in einem gerichtlichen Vergleich darauf geeinigt, sich nicht mehr öffentlich über die Zuwendungen des 68-Jährigen zu äußern, bis die Sonderuntersuchung abgeschlossen ist.
Für Almaz Böhm waren die Monate seit Beginn der Auseinandersetzungen anstrengend. Seit den ersten bösen Mails des einstigen Unterstützers hat sie mehr Zeit in Krisensitzungen und bei Anwälten in Deutschland verbracht, als in den Projektgebieten in ihrem Heimatland.
Uneingeschränkte Bewunderung
In ihrer Heimat ist der Streit ohnehin kein Thema. Viele Einwohner des Landes bewundern den ehemaligen Schauspieler, den sie oft nur ehrfürchtig „Abo Karl“, „Vater Karl“ nennen, weiterhin uneingeschränkt. Immerhin errichtete „Menschen für Menschen“ in Äthiopien 1733 Brunnen, 326 Schulen und drei Krankenhäuser, 86 Krankenstationen wurden neu gebaut oder erweitert, über 127 Millionen Baumsetzlinge wurden gepflanzt. Insgesamt profitieren nach Angaben der Stiftung bislang über 5,7 Millionen Menschen von der Arbeit. Vor zehn Jahren wurde Karlheinz Böhm deshalb vom damaligen äthiopischen Ministerpräsident Meles Zenawi als erstem Ausländer die Ehrenbürgerwürde verliehen, in der Hauptstadt schmückt eine ziemlich große, ziemlich hässliche, sehr goldene Statue des nach Angaben seines Sohnes Michael an Demenz erkrankten Schauspielers den sogenannten Karlsplatz.
Almaz Böhm hofft, dass es der von ihr geführten Stiftung bald gelingt, die Vorwürfe des einstigen Förderers ganz auszuräumen und dass „Menschen für Menschen“ mit seiner Entwicklungshilfe-Arbeit bald wieder glänzen kann. Der Besuch von Ilse Aigner fühlte sich bereits wieder ein bisschen wie die guten, alten Zeiten an.