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ROM
Affäre Regeni setzt Ägypten unter Druck
Julius Müller-Meiningen
 |  aktualisiert: 09.04.2016 03:36 Uhr

Paola Regeni hält ihre rechte Faust geschlossen, die Stimme ist ruhig. Das Gelb ihres Schals wirkt ähnlich blass wie ihr Gesicht. „Das Einzige, was ich an ihm wiedererkannt habe“, sagt die Mutter des wohl zu Tode gefolterten Studenten Giulio Regeni, „war seine Nasenspitze.“ Über die anderen Eindrücke vom geschundenen Körper ihres Sohnes will Paola Regeni bei dieser Pressekonferenz im italienischen Senat nicht sprechen. Aber sollten die Ermittlungen der Behörden weiter im Sand verlaufen, verlangt die Familie Regeni eine „starke Antwort der italienischen Regierung“.

Es ist dies nicht mehr als die Forderung einer zerstörten Familie. Doch die Affäre Regeni, die wegen ihres internationalen Echos längst eine Belastung für das ägyptische Regime und Präsident Abdel Fattah al-Sisi darstellt, hat auch für Ministerpräsident Matteo Renzi ihre Tücken. Die Frage steht im Raum, wie weit Italien seine soliden politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit Ägypten zu riskieren bereit ist, um die Aufklärung des Foltertodes eines italienischen Staatsbürgers voranzutreiben. Wie es aus Rom heißt, wird bisher etwa über Maßnahmen wie den Rückruf des italienischen Botschafters aus Kairo nachgedacht.

Geplante Geschäfte seien bis auf Weiteres auf Eis gelegt. Am 5. April, zwei Monate nach Auffinden der Leiche Regenis in einem Vorort Kairos, erwarten italienische Staatsanwälte in Rom eine Delegation der ägyptischen Polizei, die endlich zur Auswertung taugliche Beweismittel vorlegen soll, etwa Videoaufnahmen. Andernfalls drohen diplomatische Konsequenzen. „Wir fordern die Wahrheit“, sagte Außenminister Paolo Gentiloni über den Fall Regeni. Der 28-jährige Italiener war seit September zu einem Forschungsaufenthalt in Kairo und am 25. Januar spurlos verschwunden.

Seit er zehn Tage später tot und entstellt in einem Straßengraben gefunden wurde, behandelt das ägyptische Regime den Fall mit auffälliger Nachlässigkeit, die auch andere Regimeopfer in Ägypten kennen. Der Unterschied ist, dass der Fall des Italieners Regeni weltweit Aufmerksamkeit auf sich zieht, die hundertfach verschleppten und zu Tode gefolterten ägyptischen Dissidenten hingegen nicht. Laut Amnesty International wurden im vergangenen Jahr in Ägypten 1676 Menschen gefoltert, etwa 500 starben dabei.

Die Behörden in Kairo erklärten den Tod des Italieners mit einem Verkehrsunfall oder dem Überfall einer Bande Krimineller. Auch weil die Erklärungsversuche erhebliche Lücken aufweisen und widersprüchlich sind, kursiert in Rom der Verdacht, Regeni sei in Wahrheit das Opfer staatlicher Sicherheitskräfte geworden. Die Folterspuren, darunter offenbar durch Zigaretten zugefügte Verbrennungswunden, Blutungen, Schädelverletzungen und Spuren von Elektroschocks an den Genitalien, legten dies nahe. Die Hintergründe der Tat sind jedoch weiter unklar.

Für seine Doktorarbeit an der Universität Cambridge forschte Regeni seit Herbst im Kairoer Gewerkschaftsmilieu und veröffentlichte unter Pseudonym regimekritische Artikel. Die nicht staatlich organisierten Gewerkschaften gelten dem ägyptischen Regime unter Präsident Abdel Fatah al-Sisi als Motor für Unruhen, zahlreiche Vertreter werden deshalb von Sicherheitskräften überwacht. Möglicherweise wurden diese Kontakte Regeni zum Verhängnis.

 
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