Der AfD droht auf europäischer Ebene der Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit. Wenige Wochen nach den umstrittenen Äußerungen über einen Schießbefehl gegen wehrlose Flüchtlinge forderte die Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) im Europäischen Parlament die beiden noch verbliebenen AfD-Vertreter, Beatrix von Storch und Marcus Pretzell, am Dienstagabend auf, das Parteienbündnis bis Ende März zu verlassen. Andernfalls werde man am 12. April über einen Zwangsausschluss abstimmen.
Zu der EKR gehören nicht nur die britischen Konservativen, die sich nicht der christdemokratischen EVP-Mehrheitsfraktion anschließen wollten, sondern auch die umstrittene polnische Regierungspartei PiS, die rechtsgerichteten „Wahren Finnen“ und weitere EU-kritische Parlamentarier an – darunter auch die fünf Abgeordneten der durch die Abspaltung von der AfD entstandenen Alfa-Gruppe.
„Selbst für stramm Konservative der EKR-Fraktion sind Beatrix von Storch und Marcus Pretzel untragbar“, kommentierte der SPD-Europa-Abgeordnete Jo Leinen die Entscheidung. „Mit dem Rauswurf aus der konservativen EKR-Fraktion verliert die AfD nun auch den letzten Rest ihrer bürgerlichen Fassade“, sagte der FDP-Europaparlamentarier und Vizepräsident des EU-Abgeordnetenhauses, Alexander Graf Lambsdorff. „Eine Partei, die einen radikalen Walzer mit der FPÖ tanzt, mit Le Pen flirtet und bei der UKIP Händchen hält, hat den politischen Ehebruch mit meiner Fraktion längst vollzogen“, betonte Arne Gericke von der Deutschen Familienpartei, der ebenfalls der EKR angehört und den Ausschluss maßgeblich mitbetrieben hatte.
Die Schießbefehl-Diskussion in Deutschland war zunächst von AfD-Chefin Frauke Petry losgetreten worden, die in einem Interview mit dem „Mannheimer Morgen“ die Auffassung vertreten hatte, Flüchtlinge müssten am illegalen Grenzübertritt notfalls mit der Schusswaffe gehindert werden. Kurz darauf beantwortete von Storch die Frage „Wollt ihr etwa den Zutritt von Frauen und Kindern mit Waffengewalt verhindern“ mit „Ja“.
Später ruderte sie zurück und erklärte ihre Antwort mit dem Hinweis, sie sei auf der Computermaus „abgerutscht“.
Innerhalb des Straßburger Parlamentes wird die Gangart gegen rassistische oder neonazistische Politiker seit geraumer Zeit spürbar verschärft. Erst am gestrigen Mittwoch schloss Parlamentspräsident Martin Schulz den fraktionslosen Griechen Eleftherios Synadinos wegen rassistischer Äußerungen gegen Türken des Saales.
Von Storch und Pretzell, der mit AfD-Chefin Petry liiert ist, werden in Straßburg und Brüssel „gute Kontakte“ zu anderen rechtsgerichteten Parteien vorgeworfen – darunter auch der rechten Fraktion, in der die Vertreter des französischen Front National und der Wilders-Partei PVV aus den Niederlanden zu Hause sind. Beobachter halten eine Abwanderung der AfD-Politiker zu diesem Bündnis für denkbar. Ansonsten müssten beide als fraktionslose Volksvertreter weitermachen.
Doch auch aus den Reihen dieser Abgeordneten gibt es bereits Widerstand. Der Europaabgeordnete der Spaßpartei „Die Partei“, der Satiriker und ehemalige Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn erklärte gestern ironisch: „Die Gruppe der fraktionslosen Abgeordneten aus überzeugten Monarchisten, Antisemiten, Kommunisten, Nazis, Spaßpolitikern und Jean-Marie Le Pen hat kein Interesse daran, dass ihr Ansehen durch zwei AfD-Politiker vom Schlage Strolch/Pretzell beschädigt wird.“