Um pathetische Worte ist Peter Hintze, einst evangelischer Pfarrer, seit 1990 CDU-Bundestagsabgeordneter und nunmehr Vizepräsident des Parlaments, nie verlegen. So wirbt er auch an diesem Mittwoch in Berlin mit griffigen Formulierungen für sein Anliegen: Ärzte in Deutschland sollen künftig todkranken Patienten, die freiwillig aus dem Leben scheiden wollen, beim Suizid helfen dürfen, ohne dass dies für sie straf- und standesrechtliche Konsequenzen hat. „Angehörige und Ärzte gehören an das Krankenbett, nicht Staatsanwälte“, sagt er. Und: Wer mit dem Strafrecht den ärztlich begleiteten Suizid verhindern wolle, der sorge in Wahrheit für „eine Entmündigung“ der Patienten.
Noch in diesem Jahr will der Bundestag die Sterbehilfe neu regeln. In der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause Anfang Juli ist die erste Lesung geplant, im Herbst sollen sich die entsprechenden Ausschüsse mit der Problematik befassen, im November könnte dann das Gesetz verabschiedet werden. Einig sind sich so gut wie alle Parlamentarier, dass umstrittenen Sterbehilfevereinen oder anderen kommerziellen Anbietern das Handwerk gelegt werden soll. Doch die Frage, wie dies geschehen soll, ist umstritten.
Es geht um das Wie des Sterbens
Mittlerweile liegen vier Gesetzentwürfe vor, die zum Teil deutlich voneinander abweichen und vom völligen Verbot der Sterbehilfe bis zur geregelten Freigabe reichen.
Während drei Entwürfe das Strafrecht ändern wollen, sieht der von Peter Hintze und seinen Mitstreitern von der CDU, der CSU und der SPD erarbeitete Vorschlag vor, ohne Änderungen im Strafrecht auszukommen. So soll Ärzten die Beihilfe ausdrücklich erlaubt werden, wenn der Patient volljährig und einwilligungsfähig ist, an einer unheilbaren und unumkehrbar zum Tod führenden Krankheit leidet und nach dem Vier-Augen-Prinzip von zwei Ärzten beraten worden ist. Damit sollen Ärzte vor berufsrechtlichen Konsequenzen geschützt werden – derzeit untersagt das ärztliche Standesrecht in zehn von 17 Landesärztekammern eine Suizidbeihilfe.
„Uns geht es nicht um das Ob, sondern ausschließlich um das Wie des Sterbens“, sagt Hintze. Ärzten sollte es erlaubt sein, beim „friedlichen Einschlafen“ zu helfen. Auch seine Mitstreiter verweisen darauf, die Sterbehilfe im Sinne der Patienten wie der Ärzte regeln zu wollen. „Wir geben eine klare Botschaft an alle Betroffenen: Niemand muss ins Ausland, niemand muss sich Laien oder teuren Vereinen anvertrauen“, sagt Carola Reimann von der SPD. Wenn die Ärzte ihre Patienten bis in den Tod begleiten können, entziehe man den Sterbehilfevereinen und den kommerziellen Anbietern die Existenzgrundlage. Mit den Mitteln des Strafrechts löse man keine Probleme, sondern schaffe neue.
Ähnlich argumentiert auch Dagmar Wöhrl von der CSU. „Lasst das Strafrecht weg vom Sterbebett. Wir wollen nicht, dass Staatsanwälte in Krankenhäusern ermitteln und sogar noch Landärzte verfolgen.“ Man wolle eine „Erlaubnisregel“ einführen, keine neuen Verbotsstrukturen schaffen.
„Humane Medizin“
Karl Lauterbach von der SPD schließlich, selber Arzt, prophezeit: Sollte der Bundestag das Strafrecht verschärfen, würden sich die Ärzte komplett aus der Sterbehilfe zurückziehen. „Kein Arzt riskiert Ermittlungen.“ So aber könnten die Ärzte nicht nur über den Suizid, sondern auch über die Angebote der Palliativmedizin und der Hospize reden. „Wir verhindern damit Suizidfälle.“ Dies bedeute eine „Erweiterung einer humanen Medizin“. Unabhängig davon will die Große Koalition die Versorgung von schwerstkranken und sterbenden Menschen am Ende des Lebens deutlich verbessern.
Der Bundestag befasste sich am Mittwoch in erster Lesung mit einem Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der unter anderem vorsieht, dass die Palliativversorgung ein ausdrücklicher Bestandteil der Regelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung wird. Zudem sollen stationäre Hospize und ambulante Hospizdienste besser ausgestattet werden. Dafür werden die Mittel der Krankenkassen um 200 Millionen Euro auf 600 Millionen Euro pro Jahr erhöht.
Regelungen in Europa
Aktive Sterbehilfe, die Tötung auf Verlangen, ist in den meisten europäischen Ländern verboten. Passive Sterbehilfe, der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen, ist in Dänemark oder Deutschland zum Beispiel erlaubt. Einige Regelungen im Überblick:
Belgien: Das Parlament verabschiedete 2002 eines der liberalsten Sterbehilfe-Gesetze in Europa. Es erlaubt erwachsenen unheilbar kranken Patienten die Tötung auf Verlangen, wenn Ärzte unerträgliche Leiden bescheinigen. Seit 2014 gilt das Gesetz auch für Minderjährige.
Dänemark: Jeder kann lebensverlängernde Maßnahmen – wie künstliche Beatmung – mit einer schriftlichen Erklärung ausschließen. Patienten können auch dann schmerzstillende Mittel bekommen, wenn diese den Tod beschleunigen.
Frankreich: Das Land hat die passive Sterbehilfe erlaubt, aktive Sterbehilfe aber verboten. Auf Wunsch des Patienten kann eine medizinische Behandlung abgebrochen werden, auch wenn das den Tod beschleunigt.
Niederlande: Holland verabschiedete sein Sterbehilfegesetz im April 2001 als erstes Land der Welt. Danach kann ein Arzt nicht strafrechtlich belangt werden, wenn er den Sterbewunsch eines Patienten ab 16 Jahren erfüllt, sofern dieser unerträglich leidet und aussichtslos krank ist. Die Forderung einer Bürgerinitiative, Menschen ab 70 Jahren generell das Recht auf Sterbehilfe einzuräumen, scheiterte 2012 im Parlament.
Österreich: Die passive Sterbehilfe ist gesetzlich erlaubt. 2006 verabschiedete der Nationalrat ein Patientenverfügungsgesetz. Beihilfe zum Suizid ist aber wie in Deutschland strafbar.
Schweiz: Die Tötung auf Verlangen ist in der Schweiz verboten. Die Gesetze erlauben es aber, unheilbar Kranken Gift anzubieten, das diese dann selbst einnehmen. Die Schweizer Organisationen Exit und Dignitas bieten Sterbenskranken an, ihnen auf Wunsch beim Suizid zu helfen. Passive Sterbehilfe ist nicht ausdrücklich geregelt, gilt aber als erlaubt. TEXT: DPA