Im Eingang der ehemaligen Quelle-Zentrale in Nürnberg hängen noch einige Sprüche, mit denen der gescheiterte Versandhändler seine Mitarbeiter motivieren wollte. So kamen die Delegierten des Juso-Bundeskongresses am Samstag auch an einem Zitat des chinesischen Philosophen Laotse vorbei: „Wer sein Ziel kennt, findet den Weg.“ Doch beim Ziel sind sich der SPD-Nachwuchs und Parteichef Sigmar Gabriel nicht einig.
Während die Parteiführung eine Neuwahl für fatal und die Linke für nicht regierungsfähig hält, lehnen viele Jusos den Koalitionsvertrag mit der Union erbittert ab – und hoffen auf Rot-Rot-Grün. Das Aufeinandertreffen von Parteichef und junger Basis geriet denn in Nürnberg auch zum heftigen Schlagabtausch.
Für Gabriel verlief das Wagnis, alle Mitglieder über den Eintritt in eine schwarz-rote Koalition abstimmen zu lassen, bisher glimpflich. Auf den SPD-Regionalkonferenzen gab es zwar heftige Debatten, doch die Zustimmung zum Vertrag überwog. Die Stimmung habe sich gedreht, verkündeten führende Genossen. Und auch die Beteiligung an der laufenden Briefwahl liegt bislang über allen Erwartungen.
Bei den Jusos jedoch stieß Gabriel auf breite Ablehnung. Viele Delegierte reckten ihm Protestplakate entgegen: „Die Verteilungsgerechtigkeit ist wichtiger als die Große Koalition.“ Die neu gewählte Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann erklärte: „Wir haben immer gesagt: Wir stehen für einen echten Politikwechsel.“ Ein Delegierter nach dem anderen kritisierte den Koalitionsvertrag: zu wenig Umverteilung, zu viele Zugeständnisse an die Union, nicht links genug.
Wesentliche Punkte, für die auch die Jusos im Wahlkampf gekämpft hätten wie Bafög-Reform, bessere Bildung und mehr Infrastruktur in den Kommunen, seien nicht enthalten, bedauerte Uekermann. Die 26-Jährige machte klar, dass Neuwahlen für sie kein Tabu sind – und sie auf ein linkes Bündnis mit Grünen und Linkspartei hofft. Gabriel erwiderte: „Die Hoffnung darf man als Jungsozialist haben, ich habe sie nicht.“ Die Linke sei nicht regierungsfähig. Eine Große Koalition sei keine Liebesheirat. „Aber sie ist die jetzt mögliche Regierungsmehrheit in Deutschland. Und sie ist eine Koalition der nüchternen Vernunft.“
Die Befürworter der Koalition blieben in Nürnberg in der Minderheit. Eine breite Mehrheit des SPD-Nachwuchses lehnte vielmehr trotz Gabriels Werben den Koalitionsvertrag ab. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag null Uhr endet die Frist für die Befragung der rund 475 000 SPD-Mitglieder. Und dann wird klar sein, welches Kreuz die stille Mehrheit der Parteimitglieder zu Hause gemacht hat.
Auch Vertreter des CDU-Wirtschaftsflügels signalisieren am Wochenende die Ablehnung des mit der SPD ausgehandelten Vertrages. Bei der CDU entscheidet am heutigen Montag ein kleiner Parteitag. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe rechnet allerdings trotz manchen Unmuts in seiner Partei mit einer breiten Zustimmung der insgesamt 181 Delegierten. Auf die Frage, ob seine Partei einen Plan B für den Fall habe, dass die SPD Nein sage und eine Neuwahl drohe, sagte Gröhe: „Wir haben einen Plan A und der heißt anfangen mit der Arbeit.“
Die Vorsitzenden des CDU-Wirtschaftsrats, der CDU-Mittelstandsvereinigung und des CDU-Parlamentskreises Mittelstand, Kurt Lauk, Carsten Linnemann und Christian Freiherr von Stetten kritisierten in der „Bild“-Zeitung (Montagausgabe) gemeinsam die Absprachen zu Rente, Mindestlohn, Energiewende und Steuerpolitik. Von Stetten bezeichnete die Rentenversprechen als „Verbrechen an der nächsten Generation“.