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KAIRO
Ägyptens Armee stellt ein Ultimatum
Von unserem Korrespondenten Martin Gehlen
 |  aktualisiert: 02.07.2013 00:18 Uhr

Einen Tag nach den größten Demonstrationen seit dem Volksaufstand gegen Hosni Mubarak hat Ägyptens Armeeführung in einer dramatischen Wende den Politikern des islamistischen und liberalen Lagers ein 48-Stunden-Ultimatum gestellt, sich zu einigen. Anderenfalls werde das Militär dem Volk einen eigenen „Fahrplan für die Zukunft“ vorlegen.

Die Massenproteste am Sonntag seien ein „beispielloser Ausdruck des Volkswillens“, hieß es weiter in der Erklärung von Oberbefehlshaber General Abdel Fattah al-Sissi, die am späten Nachmittag im Staatsfernsehen verlesen wurde. Präsident Mohammed Mursi, der bisher einen Rücktritt kategorisch ablehnt, kündigte für den Abend eine eigene Erklärung an, während sich in seiner Regierung erste Auflösungserscheinungen zeigten. Vier Kabinettsmitglieder, die Minister für Tourismus, Umwelt, Kommunikation und Justiz, reichten am Montag ihren Rücktritt ein.

In der Nacht zuvor hatte ein Mob von etwa 150 Angreifern das vierstöckige Hauptquartier der Muslimbruderschaft im Kairoer Stadtteil Moqattam gestürmt und geplündert, ohne dass die Polizei vor Ort einschritt. Auf Videos vom Inneren des Gebäudes ist zertrümmertes Mobiliar zu sehen, herausgerissene Klimaanlagen baumelten von den Wänden, Räume sind durch Brände verkohlt. Triumphierend hielten junge Schläger ihre Beute aus den Büros der Muslimbruderführung in die Kameras, schleppten Stühle, Teppiche, Fernseher, Dokumente und Mursi-Porträts davon. Auch in der Nähe des Privathauses von Mursi in Kairo kam es in der Nacht zu Krawallen, die Angreifer wurden jedoch von Soldaten zurückgeschlagen.

Für Montagabend kündigte die Oppositionsbewegung „Tamarod“ derweil die nächsten Massendemonstrationen an und setzte dem Staatschef ein Ultimatum: Entweder Mohammed Mursi trete bis Dienstag, 17 Uhr zurück oder man werde mit einer Kampagne des zivilen Ungehorsams die gesamte Nation lahmlegen. Tausende Demonstranten campierten weiter auf dem Tahrir-Platz und vor dem Präsidentenpalast in Heliopolis. Mursis islamistische Anhänger dagegen igelten sich im Stadtteil Nasr City rund um die Rabaa Al-Adawiya Moschee ein und ließen mit Stöcken, Helmen und Panzerwesten bewaffnete Milizen patrouillieren. Nach einer ersten Bilanz des ägyptischen Gesundheitsministeriums kamen am Sonntag landesweit 16 Menschen ums Leben und wurden 780 verletzt. Auf dem Tahrir-Platz zählten Aktivisten insgesamt 46 sexuelle Übergriffe gegen Frauen.

Die Polizeiführung hatte im Vorfeld der Großdemonstrationen erklärt, sie werde die Büros der Muslimbruderschaft nicht schützen. An zahlreichen Stellen in Kairo ließen die Demonstranten Polizisten hochleben und skandierten „Das Volk und die Polizei sind Hand in Hand“, ähnlich wie vor gut zwei Jahren beim Sturz von Hosni Mubarak, als die Menschen solche Jubelrufe auf die Armee ausgebracht hatten. Die Oppositionsbewegung forderte Polizei und Militär auf, sich hinter die Demonstranten und ihre politischen Ziele zu stellen.

Armeechef General el-Sissi hatte bereits letzte Woche unverblümt mit einer Machtübernahme durch das Militär gedroht, sollte die Gewalt im Land außer Kontrolle geraten. Auch unter den Demonstranten befürworten viele ein neuerliches Militärregime bis zur Wahl eines Nachfolgers von Mohammed Mursi. „Los Sissi, triff eine Entscheidung“, skandierten die Menschen auf dem Tahrir-Platz.

Ein hoher Offizier ließ sich ausdrücklich mit den Worten zitieren, die Anti-Mursi-Demonstrationen am Sonntag seien „die größten in der Geschichte Ägyptens“ gewesen. Die Website „Al-Ahram Online“ berichtete, die Soldaten seien angewiesen worden, den Willen des Volkes zu schützen, falls die politischen Kräfte zu keinem Konsens kämen. Einer der drei führenden Oppositionspolitiker, Ex-Präsidentschaftskandidat Hamdeen Sabbahi, forderte die Generäle auf, einzuschreiten, falls Mursi sein Amt nicht freiwillig aufgeben wolle.

Der bedrängte Präsident dagegen reagierte gereizt und ließ durch seinen Sprecher in der Nacht zu Montag erklären, er unterschätze nicht das Ausmaß der Proteste, werde aber nicht zurücktreten. Auch benötige er keine Mittlerdienste der Generäle bei möglichen Verhandlungen mit der Opposition. Kritik übte sein Sprecher auch an der „Einmischung westlicher Staaten“ in die inneren Angelegenheiten Ägyptens, eine Bemerkung, die direkt auf Barack Obama zielte. Der US-Präsident hatte am Wochenende Ägyptens Bevölkerung beschworen, ihre internen Konflikte nicht mit Gewalt zu lösen. „Wir würden uns wünschen, wenn die Opposition und Präsident Mursi sich auf einen konstruktiveren Dialog verständigen könnten“, sagte er. Das Patt diene niemandem.

 
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