Was die Muslimbruderschaft angeht ist die ägyptische Justiz kompromisslos. Am Samstag bestätigte ein Gericht in Minja 183 Todesurteile gegen mutmaßliche Islamisten. Dass die Verfahren von Ungerechtigkeit und Willkür geprägt sind, scheint unterdessen in Ägypten niemanden zu stören. Die absurden Massenprozesse gegen tatsächliche und vermeintliche Anhänger der Muslimbruderschaft mit mittlerweile Hunderten Todesurteilen sind dabei aber nur die Spitze des Eisbergs.
Zerschlagung als Ziel
Seit die Armee den ungeliebten Präsidenten Mohammed Mursi im vergangenen Juli stürzte, treiben die neuen Machthaber eine Zerschlagung der ältesten islamistischen Organisation des Landes voran, die häufig auch auf die physische Auslöschung deren Mitglieder zielt. Trotz Vermittlungsversuchen westlicher Staaten gab Kairo einer möglichen politischen Lösung nie eine Chance.
Anstatt zumindest zu prüfen, ob eine Annäherung und spätere Aussöhnung möglich sein könnte, setzte die Armee von Beginn weg auf maximale Gewalt. Zunächst erschossen Sicherheitskräfte im August 2013 bei mehreren kurz aufeinanderfolgenden Massakern weit über 1000 islamistische Demonstranten. Anschließend ließ sie bis heute rund 40 000 Anhänger der Muslimbruderschaft festnehmen. Diese sind nun in Gefängnissen Folter ausgesetzt und warten häufig vergeblich auf anwaltlichen Beistand.
Medial gerechtfertigt wird die staatliche Unterdrückung mit den Verbrechen der Mursi-Ära. Tatsächlich kam es während der einjährigen Herrschaft des Islamisten zu zahlreichen Menschenrechtsverstößen. Nach den Massakern gegen Muslimbrüder griffen Mursi-Anhänger im ganzen Land Polizeistationen und Kirchen an, wobei mehrere Dutzend Personen ums Leben kamen.
Rache als Motiv
Doch die jetzigen Prozesse haben weniger mit Recht als mit Rache zu tun. Mursi hatte sich als Präsident mit der korrupten Justiz überworfen. Dafür, so scheint es, sollen seine Anhänger nun bezahlen. Da in der neuen Verfassung jede unabhängige Aufsicht über den Justizapparat gestrichen wurde, haben die Richter freie Hand.
Der zuständige Richter im Prozess gegen die Angeklagten in Minja, die zwei Personen umgebracht haben sollen, fällte sein Urteil nach zwei Verhandlungstagen, ohne die Verteidigung auch nur anzuhören. Dass ein Gericht nun 183 der ursprünglich über 600 Todesstrafen bestätigte, während gleichzeitig 429 weitere zunächst ebenfalls Verurteilte freigesprochen wurden, unterstreicht nur die Willkür der Justiz. Unter den zum Tod durch den Strang Verurteilten befindet sich auf das geistige Oberhaupt der Muslimbrüder, Mohammed Badie. Die Verteidigung hat angekündigt, Berufung einlegen zu wollen.
Kritik am Urteil wagt in Ägypten kaum jemand. Gegen mehrere Personen, die ähnlich absurde Richtersprüche zuletzt infrage gestellt hatten, laufen Verfahren wegen „Beleidigung der Justiz“.