
Ein Phänomen, gewiss, was sich seit Wochen im Königreich abspielt. Diana, 20 Jahre tot, wird medial in die Öffentlichkeit zurückgeholt. Ihr Leben, ihr Leiden, ihr Vermächtnis – erzählt in Sonderbeilagen und bebildert auf Titelseiten des schrillen Boulevards. Auf TV-Sendern folgt eine Dokumentation auf die andere, immer kommen echte oder vermeintliche Diana-Kenner zu Wort. Leibwächter melden sich mit recycelten Erinnerungen genauso wie der Biograf oder der Stimmtrainer der Prinzessin, der Aufnahmen weitergab, in denen sich Diana über ihr Sexleben mit Charles ausließ. Als besonders bemerkenswerte Episode dieses Sommers dürfte jene gelten, mit der es eine Frau namens Simone Simmons „exklusiv“ in die Zeitung schaffte, weil sie doch noch immer in Kontakt mit der Freundin von damals stehe. Das selbst ernannte „Medium“ höre Dianas Stimme aus dem Jenseits, die ihr beispielsweise eingeflüstert habe, dass Kate, die Ehefrau von Sohn William, schlicht perfekt sei und Lady Di der Fraktion Brexiteers angehöre. Ja, es sind solche Dinge, die das Sommerloch auf der Insel füllen.
Der Diana-Hype in den britischen Blättern zum 20. Todestag am 31. August nimmt absurde Züge an. „Die Aufmerksamkeit ist komplett von den Medien getrieben“, sagt Ingrid Seward, selbst äußerst beschäftigt in diesen Tagen in ihrer Funktion als Herausgeberin des „Majesty Magazine“ und Autorin von „Diana, the Last Word“ – ein Buch, das sie im Übrigen mit Medium Simone Simmons veröffentlicht hat. So schließt sich der Kreis. Ein bisschen erinnert alles an die Massenhysterie von 1997, die von Großbritannien in die Welt schwappte. Tausende Menschen pilgerten nach London, legten Sträuße vor dem Buckingham-Palast und Kensington-Palast ab. Wildfremde Menschen nahmen sich tröstend in die Arme, weinten um eine Frau, die sie doch nie getroffen hatten, aber deren tragischer Unfalltod in Paris mit nur 36 Jahren sogar die jahrhundertealte Monarchie ins Wanken brachte. Königin Elizabeth II. reagierte nach dem Geschmack der Menschen zu zögerlich und zeigte so nur noch deutlicher den Kontrast zwischen dem traditionsbewussten, auf Selbstbeherrschung pochenden Establishment und dem offenen und nahbaren Stil, den Diana verkörperte.
Das britische Volk in kollektiver Trauer stand kurz vor dem Nervenzusammenbruch und war irgendwie selbst überrascht über die Wogen der Gefühle. „Das Trauern wurde eine öffentliche Aktivität, ein Gruppenereignis und ein bisschen wetteifernd“, erinnert sich der „Guardian“. Im Londoner Hyde Park sitzt an diesem Nachmittag die 52-jährige Anna am Rande des kreisförmigen Prinzessin-Diana-Gedenkbrunnens, der zuerst an eine Wasserrutsche denken lässt, aber eigentlich das turbulente Leben der Prinzessin symbolisieren soll, indem das Wasser mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in zwei Richtungen fließt.
„Es war, als habe uns alle der Wahnsinn gepackt“, sagt die Engländerin über jene Woche Anfang September 1997. Und mittlerweile ist ihr die Erinnerung daran, wie sie täglich mit Rosen zum Palast spazierte, peinlich. „Ihr Tod fegte eine alte, akzeptierte Ordnung von Protokollen und Höflichkeit weg und leitete eine neue Ära, geprägt von Mitgefühl und Liberalismus, ein“, befand gerade erst die „Mail on Sunday“.
Premierminister Tony Blair taufte Diana damals „Prinzessin des Volkes“, und Millionen Menschen prägte sich das herzzerreißende Bild ein, wie der 15-jährige Prinz William und der zwölf Jahre alte Prinz Harry am Tag der Beerdigung mit gebeugtem Haupt hinter dem Sarg der Mutter hergingen.
In den vergangenen Wochen haben sich die beiden Männer ungewöhnlich offen über die Teenagerzeit geäußert, über ihren Schmerz und die überwältigende Reaktion der Bevölkerung. Die junge Generation lässt hinter die Fassade blicken und erinnert damit an die Mutter, die mit ihrer unkonventionellen Art häufig im Hause Windsor, dessen royale Mitglieder für ihre „steife Oberlippe“ berühmt sind, aneckte.
Dabei ist es abseits der Medien nicht gerade einfach, die Königin der Herzen zu finden – trotz der in den Asphalt eingelassenen Bronze-Plaketten, die im Zentrum Londons auf den Diana Memorial Walk hinweisen, einen fast zwölf Kilometer langen Erinnerungsweg durch vier Parks. Ihre Spuren im Alltag scheinen verwischt und verblasst. Ihre letzte Ruhe fand Diana auf einer Insel in einem See des Landguts Althorp bei Northampton, weit weg vom Getöse der Metropole.
Während der Boulevard ihr Denkmal in Form von Schlagzeilen zementiert, fehlte bislang eine Statue – sieht man einmal von dem geschmacklich streitbaren Monument im Kaufhaus Harrods ab, das im Untergeschoss neben dem Männerschuh-Salon und zwischen zwei Rolltreppen Diana mit ihrem ebenfalls bei dem Unfall getöteten Partner Dodi Al-Fayed zeigt.
Die Söhne Harry und William wollen den Umstand zum 20. Todestag ändern und ihre Mutter mit einem Denkmal in einem öffentlichen Bereich der Gärten des Kensington-Palasts würdigen. Hier hatte sie bis zuletzt gelebt, hier haben ihre Kinder Appartements, und hier schildert zurzeit eine Ausstellung anhand von 25 Outfits die Wandlung von Lady Diana Spencer, der schüchternen Kindergärtnerin und Aristokratentochter, zur internationalen Modeikone, die einer ganzen Frauen-Generation als Vorbild diente.
Im Buckingham-Palast, der im Sommer für eine Schau auch dem Fußvolk geöffnet ist, bewundern Besucher den Holzschreibtisch von Diana, darauf gerahmte Bilder ihrer Liebsten, Briefpapier und ein Koffer mit alten Musikkassetten. Sie hörte gerne Diana Ross, George Michael, Lionel Richie und natürlich Elton John – siehe „Candle in the Wind“, wie sich der Sänger musikalisch bei der Beerdigung von seiner Freundin, „England?s rose“, verabschiedete und so die Hymne für die weltweite Trauer schuf.
Es war eine schwere Zeit auch für Abdul Daoud, den Betreiber des Cafés „Diana“, nur wenige Meter vom Kensington-Palast entfernt. Er hatte das Gefühl, eine gute Freundin verloren zu haben. Der 61-Jährige kam vor 40 Jahren aus Bagdad in die britische Hauptstadt, baute 1989 sein Lokal auf und nannte es „Diana“, weil er sie einmal in Polizeieskorte vorbeifahren sah. Beim nächsten Mal entdeckte sie das Schild über dem Eingang, winkte und irgendwann kam sie sogar vorbei, bedankte sich für die Namensgebung und bestellte Cappuccino sowie Croissants für die Söhne. Es wurde zur Regel.
Einmal, so erzählt der Mann mit dem Schnurrbart, schnitt er gerade in der Küche Zwiebeln, als sie ihm von hinten auf die Schulter klopfte, um ihm ein Autogramm für seine Tochter zu überreichen. Wenn er Blumen in den Palast schickte, hielt sie kurze Zeit später in ihrer Limousine an, kurbelte das Fenster herunter und rief: „Abdul, vielen Dank für die Blumen. Aber das sollst du doch nicht immer tun.“ Im Inneren des Cafés fühlt man sich wie beim Blättern durch ein riesiges Fotoalbum, Bilder und Zeitungsartikel hängen an den Wänden. „Mit jedem Tag, an dem ich meinen Laden öffne, zolle ich ihr Tribut“, sagt Daoud und lehnt sich auf dem roten Ledersitz zurück. Vor der Tür stehen Journalisten aus Argentinien Schlange für seine Geschichten. Er erzählt sie gerne. Sie habe die Herzen der Menschen berührt und eine „magische Präsenz“ gehabt. „Diana war eine wirkliche Märchenprinzessin.“
Da ist er wieder, der Hinweis auf das Märchen von der schönen Princess of Wales, das zu einer Reality-Soap wurde, die nichts ausließ und die ganze Welt unterhielt. Traumhochzeit mit Märchenkleid und jugendlichen 20 Jahren, Familienglück mit zwei Söhnen, dann schon bald Affären auf beiden Seiten, Ehedrama, schlüpfrige Enthüllungen, Rosenkrieg. Dass Diana das Spiel mit den Medien nahezu perfekt beherrschte und das Fernsehen nutzte, um etwa über ihre Bulimie oder ihre Affären zu sprechen, Fotografen zu Liebesdates einlud und insbesondere während des Scheidungskriegs mit Thronfolger Prinz Charles versuchte, die Öffentlichkeit mit Hilfe der Presse auf ihre Seite zu ziehen, findet gerade kaum Erwähnung. Kritik unerwünscht.
Vielmehr verurteilten die Söhne noch einmal das Verhalten der Paparazzi scharf. Die Fotografen hätten Diana jeden Tag „wie ein Rudel Hunde verfolgt, gejagt, belästigt, ihr Ausdrücke zugerufen und sie bespuckt“, um eine wütende Reaktion für ihre Aufnahmen zu bekommen, sagte William. Es waren die Geister, die Diana rief und die sie am Ende nicht mehr loswurde.
Die Kinder versuchen, den Erinnerungsreigen zumindest ein bisschen zu lenken, etwa mit Interviews zu Diana als liebevoller, humorvoller Mutter. Zudem mit Bemerkungen zu ihrem leidenschaftlichen Engagement für Obdachlose oder beim Kampf gegen Landminen und Aids. „Ihr Vermächtnis sind ihre Söhne, die ihre Arbeit weiterführen“, sagt die royale Expertin Ingrid Seward. Und die den informellen Stil ihrer Mutter übernommen haben und sich keineswegs hinter den dicken Palastmauern verschanzen. „Diana sorgte dafür, dass die royale Familie sich selbst reflektieren musste und so erkannte, dass sie sich vorwärts bewegen muss, um zu überleben.“ Die Windsors hätten sich sogar zu einem gewissen Maße der Forderung der Öffentlichkeit gebeugt, Gefühle zu zeigen.
Dass das Königshaus heute so beliebt dasteht wie selten zuvor, ist zu großen Teilen ausgerechnet Diana zu verdanken, die doch einige Jahre vor ihrem Tod im wahrsten Sinne vom Hof gejagt wurde. Aber die Royals haben ihre Lektion gelernt – aus jener Woche von vor 20 Jahren, die wie eine Zeitung gerade betonte, „unser Land von Minute zu herzzerreißender Minute für immer verändert hat“.