
Norbert Lammert (CDU) betritt den Plenarsaal des deutschen Bundestags – schlagartig herrscht Stille: Aus Respekt vor dem Präsidenten des Bundestags, vor allem aber aus Respekt vor Helmut Kohl. Eine knappe Woche nach dem Tod des Altkanzlers eröffnet Lammert die Sitzung mit einer Würdigung des Verstorbenen. Die Reihen der Parlamentarier sind gefüllt, die Zuschauerränge besetzt.
Angela Merkel ist da, ebenso ihre Ministerriege, und in der ersten Reihe der Zuschauertribüne sitzen der amtierende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Vorgänger Horst Köhler und Joachim Gauck.
In seiner Rede fasst Lammert Kohls größte Erfolge zusammen und lässt auch die Rückschläge nicht aus. So sei es eine „Sternstunde der Parlamentsgeschichte“ gewesen, als Kohl 1989 das „Zehn-Punkte-Programm“ verkündet hat und die friedliche Revolution in der DDR vorantrieb. Doch für den umstrittenen Nato-Doppelbeschluss zu Beginn seiner Kanzlerschaft erntete er 100 000 Demonstranten im Bonner Hofgarten.
Kohls Verdienst für „die friedliche Einheit unseres Landes in einem freien und befriedeten Europa“ ist der rote Faden in Lammerts Rede. Mit seiner besonnenen und zielgerichteten Diplomatie habe Kohl es geschafft, nicht nur Deutschland, sondern auch Europa zu vereinigen. Den Frieden auf dem „ehemals verfeindeten Kontinent“ versuchte Kohl auch über die gemeinsame Währung zu zementieren. Mit Kohl sterbe einer der letzten Politiker, für den „die Epoche der Weltkriege keine Erzählung, sondern Erfahrung war“, sagt Lammert.
Auch auf die Kontroversen um die geplante Trauerfeier kommt er zu sprechen. Für den Altkanzler findet am 1. Juli ein europäischer Staatsakt in Straßburg statt. Es heißt, dass Kohls Witwe Meike Kohl-Richter nicht wollte, dass Merkel dort spricht. Auch eine nationale Trauerfeier lehnt die Witwe ab. Lammert betont im Rahmen seiner Rede, dass „Art und Würdigung einer herausragenden Persönlichkeit bei allem Respekt nicht nur Familienangelegenheit sind.“
Als Lammert auf Helmut Kohls Persönlichkeit zu sprechen kommt, regt sich auch erstmals die Kanzlerin. Denn Kohl habe junge Abgeordnete stets genau im Blick gehabt, „intensiver, als diese es sich hatten vorstellen können“. Merkel, die als eine dieser jungen Abgeordneten von Kohl gefördert wurde, kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und tuschelt mit Sigmar Gabriel.
Zum Abschluss der 20-minütigen Würdigung kommt Lammert auf den Kämpfer in Kohl zu sprechen, der Verletzungen „selbst erlitt und anderen zufügte“. „Dass sein Abschied aus der aktiven Politik so wurde, wie es in der Formulierung seines Biografen Hans-Peter Schwarz die Umstände der ,kreativen Verschleierung von Parteispenden' am Ende erzwangen, hängt wieder mit der außergewöhnlichen, bisweilen auch außergewöhnlich sturen Persönlichkeit Kohls zusammen.“ Nichts desto trotz sei er ein „Glücksfall für Deutschland“ gewesen.
Für den Nachlass von Kohl wird nach Angaben des Anwalts Stephan Holthoff-Pförtner eine Stiftung gegründet. Wie der Prozess genau gestaltet werde, sei noch nicht klar, sagte Holthoff-Pförtner dem Magazin „Focus“. Helmut Kohl hatte nach seiner Abwahl als Bundeskanzler 1998 der Konrad-Adenauer-Stiftung einen Transporter voller Handakten für ihr Archiv zukommen, aber 2010 wieder abholen lassen.
Mit Informationen von dpa