Sieben Minuten lang nimmt sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zusammen und redet, als wenn nichts gewesen wäre. Sie bedankt sich bei den Soldaten im nordafghanischen Masar-i-Scharif für ihren gefährlichen Einsatz und stimmt sie auf die anstehende Ausbildungsmission ein.
„Deutschland blickt auf Sie mit Stolz und mit Respekt“, sagt die CDU-Ministerin der Truppe, die sich auf dem improvisierten Adventsmarkt im Camp Marmal versammelt hat, um mit ihrer Oberbefehlshaberin bei Glühwein und Christstollen Weihnachten vorzufeiern.
Doch daraus wird nichts, von der Leyen feiert nicht mit. „Ich habe vor einer Stunde erfahren, dass mein Vater gestorben ist“, sagt sie. Der frühere niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) litt an Alzheimer. Er starb am Samstag im Alter von 84 Jahren. Von der Leyen entscheidet sich, ihre Reise nicht abzubrechen. Soldatisch pflichtbewusst zieht sie ihr Programm auch am Sonntag durch.
In der afghanischen Hauptstadt Kabul trifft sie den neuen Präsidenten Aschraf Ghani und den amtierenden Verteidigungsminister, auch besucht sie das Hauptquartier der Internationalen Schutztruppe Isaf. Es ist ihre bisher schwerste Reise als Verteidigungsministerin. Sie muss den Soldaten erklären, warum sich die 13 Jahre Kampfeinsatz gelohnt haben, in denen 55 Bundeswehrsoldaten ihr Leben ließen und viele verletzt oder traumatisiert wurden.
Sie muss ihnen aber auch Mut machen für das, was noch kommt. Denn die Bundeswehr bleibt auch nach Ende des Nato-Kampfeinsatzes am 31. Dezember in Afghanistan. Ihr neuer Auftrag lautet: „Ausbilden, beraten, unterstützen“. Bis zu 850 deutsche Soldaten sollen sich an der Mission „Resolute Support“ (Entschlossene Unterstützung) beteiligen.
Mut brauchen sie dafür. Die Sicherheitslage ist verheerend, von der Leyen bekommt das bei ihrem zweitägigen Besuch deutlich zu spüren. Die kurze Strecke vom Flughafen Kabul zum Isaf-Hauptquartier legt sie in Schutzweste mit einem Hubschrauber zurück. Durch die Stadt zu fahren, ist trotz aller Absperrungen zu gefährlich. Die Anschläge in Kabul haben in den vergangenen Wochen deutlich zugenommen. Aber auch in Masar-i-Scharif, der Boomtown des Nordens, ist man nicht sicher. Auf dem Weg in das dortige deutsche Generalkonsulat wird die Kolonne von der Leyens wegen einer Anschlagwarnung aufgehalten. Selbst da, wo es eigentlich mit am sichersten sein sollte, sind die Sicherheitsvorkehrungen massiv. In das Camp Schahin der afghanischen Armee fährt von der Leyen mit gepanzerten Fahrzeugen. Die Angst vor Anschlägen afghanischer Soldaten ist weiter groß. Keiner der Soldaten, die die Ministerin dort trifft, ist bewaffnet. 50 ausländische Soldaten, darunter acht Deutsche, bilden in dem Camp afghanische Pioniere aus. Der afghanische Leiter der Pionier-Schule, Maikhil Ahmadullah, würde sich wünschen, dass die Nato-Partner nicht gehen. „Alleine gelangt man nie an das Ziel, das man sich vorgenommen hat“, sagt er. Von der Leyen deutet an, dass sie sich eine Verlängerung der bislang auf zwei Jahre angelegten Mission vorstellen kann.
Im deutschen Generalkonsulat in Masar-i-Scharif trifft sie die Menschen, die sie die „Zukunft Afghanistans“ nennt: Studentinnen, die an der örtlichen Universität Politik- und Rechtswissenschaften studieren.
Die Zahl der Studenten in ganz Afghanistan ist seit dem Sturz der Taliban 2001 von 8000 auf 100 000 gestiegen, die Zahl der Schüler von einer auf acht bis neun Millionen. Das ist, was von der Leyen Hoffnung gibt. „Ich habe Frauen erlebt, die einen ganz festen Willen haben, aber auch ganz viele Visionen für ihr Land“, sagt sie nach dem Treffen.