Liebhaber einer zart angebratenen Rinderhüfte sollten ihr Steak künftig besser „well done“ statt „medium“ oder „rare“ bestellen. Zumindest war das die Empfehlung von Professor Harald zur Hausen bei seinem Vortrag an der Würzburger Universität. Auf Einladung der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft Physico-Medica sprach der Nobelpreisträger über Infektionen als Auslöser von Krebs. Schon während seiner Forschungsjahre in Würzburg hatte Harald zur Hausen erstmals gezeigt, dass in bestimmten Krebsgeschwulsten des Menschen das Erbgut des Epstein-Barr-Virus' vorkommt. Zu Beginn der 1980er Jahre hatte er seine spektakuläre Vermutung nachgewiesen, dass Papillomviren für Gebärmutterhalskrebs verantwortlich sind. Als einer der wenigen Wissenschaftler verfolgte er dann den ganzen Weg von der ersten Identifizierung eines Krankheitserregers bis hin zur Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs, der seit 2006 auf dem Markt ist. Am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg beschäftigt sich der Virologe heute nach wie vor mit den Zusammenhängen von Infektionen und Entstehung von Krebs. Seine Hypothese: Es gibt einen speziellen „Rindfaktor“ für Darmkrebs. Ein bestimmter Polyoma-Virus, so die Vermutung des 75-jährigen Wissenschaftlers, könnte bei häufigem Rindfleischkonsum im menschlichen Darm nach Jahrzehnten Tumore hervorrufen. Das Virus könnte auch erklären, wieso Metzger und Schlachthaus-Mitarbeiter gehäuft von Krebs in Mund und Rachen betroffen sind. „Anscheinend gibt es einen Übertragungsweg durch die Luft.“
Harald zur Hausen: Nicht direkt auslösen. Aber rotes Fleisch erhöht, wenn es regelmäßig und langfristig konsumiert wird, das relative Risiko, an Krebs zu erkranken, um 20 bis 30 Prozent. Wenn Sie viel nicht durchgebratenes Rindfleisch verzehren, ist das vermutlich ein Risikofaktor.
Zur Hausen: Die Zubereitungsart sollte schon eine Rolle spielen. Aber der tatsächliche Grund für den Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Dickdarmkrebs ist noch unbekannt. Wir haben am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg eine Hypothese für die erhöhte Krebsrate aufgestellt, die aber noch nicht bewiesen ist. Wir wissen aus epidemiologischen Daten, dass das Auftreten entscheidend etwas mit dem Konsum von rotem Fleisch zu tun hat. Die Epidemiologie gibt zunächst Hinweise darauf, dass hier offenkundig ein spezifischer Rinderfaktor eine Rolle spielt. Dieser Krebs entsteht vermutlich in einem Zusammenwirken zwischen dem Überleben von möglichen Erregern und chemischen Faktoren im Brat- und Kochprozess.
Zur Hausen: Ja, das zumindest legt die Epidemiologie nahe. Man hat ein konstantes Bild über viele unterschiedliche Publikationen und Untersuchungsgruppen hinweg gefunden. Es zeigt, dass die geografische Häufigkeit des Krebses in ganz besonderer Weise mit dem Rindfleischkonsum zusammenhängt. Dickdarmkrebs und auch Brustkrebs oder Tumore in der Lunge und Bauchspeicheldrüse treten besonders häufig in Regionen auf, in denen viel Rindfleisch verzehrt wird. In Argentinien, Neuseeland oder den USA. Aber die Kanzerogene, die krebserregenden chemischen Substanzen, die im Koch- und Bratprozess entstehen, sind ja nicht nur auf das Rindfleisch beschränkt. Sie entstehen auch beim Braten von Lamm, Fisch oder Geflügel. Also müssen wir eine Erklärung dafür finden, dass der langfristige Konsum von Fisch, Geflügel oder auch Yak-Fleisch in der Mongolei nicht wie Rindfleisch das Risiko für diese Krebsart erhöht. Das hat mich überhaupt angeregt darüber nachzudenken: Was kann dahinterstecken?
Zur Hausen: Möglicherweise. Rindfleisch wird häufig in relativ rohem Zustand verzehrt. Die Temperatur im Inneren eines medium gegrillten Steaks beträgt vielleicht 60 Grad. Papillomviren beispielsweise halten, wie wir wissen, für eine halbe Stunde Temperaturen von bis zu 80 Grad Celsius aus. Krebserregende Polyoma-Viren würden einen solchen Bratprozess auch leicht überstehen.
Zur Hausen: Häufig können sich Viren, die aus Tieren aufgenommen werden, beim Menschen nicht vermehren, sie wirken nicht infektiös. Aber sie können in menschlichen Zellen sehr wohl Gene ablagern. Das könnte im Zusammenspiel mit weiteren genetischen Veränderungen nach langen Zeitintervallen zur Umwandlung in eine Krebszelle führen.
Zur Hausen: Es bräuchte die Charakterisierung eines Agens, das grundsätzlich daran beteiligt ist. Und darüber hinaus müssten wir zeigen, dass dieses Agens in der Lage ist, zumindest ähnliche Veränderungen in experimentellen Systemen auszulösen. Nach diesem speziellen Rinderfaktor suchen wir in Heidelberg intensiv.
Zur Hausen: Natürlich können im Fisch Infektionserreger stecken, vor allem wenn der Fisch nicht mehr ganz frisch ist. Aber, wie gesagt, der Verzehr von rohem Fisch über lange Zeit führt offensichtlich nicht zu einem erhöhten Risiko für Dickdarmkrebs.
Zur Hausen: Sehr viele. 21 Prozent aller Krebserkrankungen weltweit gehen auf Infektionen zurück. Dahinter stehen sehr unterschiedliche Virustypen und verschiedene Erreger. Es gibt ein paar, die besonders wichtig sind: Viele Magenkrebse zum Beispiel entstehen als Folge einer Ansteckung mit dem Bakterium Helicobacter pylori oder durch Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus. Die Mehrzahl der Leberkrebse ist Folge von Hepatitis-Viren, besonders in Asien und im Afrika südlich der Sahara. Herpesviren fördern das Kaposi-Sarkom, und Gebärmutterhalskrebs wird ausgelöst durch Hochrisiko-Papillom-Viren. Diese Viren sind weltweit für zwölf Prozent der Krebserkrankungen bei Frauen verantwortlich.
Zur hausen: Zumindest bei den zwei wichtigen Krebsarten, die durch Hepatitis B und Papillom-Viren verursacht werden. In Taiwan zum Beispiel ist die Zahl der Leberkarzinome seit der Einführung der Hepatitis B-Impfung innerhalb von 20 Jahren bei den Geimpften um 70 Prozent zurückgegangen.
Zur Hausen: Das stimmt, sie liegt bei sexuell noch nicht aktiven Mädchen nur bei etwa mehr als einem Drittel. Wenn man sieht, was durch Impfungen generell erreicht werden kann, und wenn man auf der anderen Seite sieht, dass in unserem Land zum Beispiel noch Kinder an Masern sterben, dann ist das in meinen Augen ein Skandal.
Zur Hausen: Sicher. Es ist auch eine Frage, wie auf die Eltern direkt eingewirkt wird. Sie müssen wissen, was mit der Impfung erreicht werden kann. Die Ärzte sind sicherlich besonders gefordert, aber auch die Krankenkassen, Gesundheitsbehörden und Gesundheitsministerien müssen hier weiter ihren Beitrag leisten. Leider gibt es sehr viele, die unbegründet gegen die Impfung Behauptungen in die Welt setzen, die sich nicht belegen lassen.
Zur Hausen: Die Viren werden durch den Sexualkontakt übertragen. Und da sind Jungen zwischen 15 und 25 Jahren offenkundig in den meisten Gesellschaften der Welt „aktiver“ als Mädchen. Es wäre also sogar wichtiger die Jungen zu impfen, nicht nur aus Solidarität! Die Infektionen führen auch zu Tumoren am After, am Penis, in der Rachen- und Mundhöhle. Sie können zu einem guten Teil verhindert werden.
Zur Hausen: Monokausal ist im Bereich von Krebs fast gar nichts, selbst wenn einige meiner Fachkollegen das so sehen. Bei Infektionsereignissen zum Beispiel müssen immer noch zusätzlich spezifische Schädigungen in bestimmten Genen der Wirtszelle vorliegen. Ohne diese Schädigungen kommt es nicht zu Krebs. Für die Entstehung jeder einzelnen Erkrankung braucht es mehr als einen Einzelfaktor. Eine genetische Veränderung für sich ist auch nur ein Risikofaktor.
Zur Hausen: Nur dann, wenn diese Infektionen eine Immunsuppression hervorrufen, also das Immunsystem unterdrücken. Da gibt es in der Tat ein paar extrem interessante Krebserkrankungen, die dann weniger häufig auftreten als sonst: Brustkrebs zum Beispiel, Hirntumore oder Prostatakrebs. Das fällt aus dem Rahmen, denn die Mehrzahl der Krebserkrankungen wird eher erhöht, wenn das Immunsystem geschwächt ist.
Zur Hausen: Ja, das tue ich. Ich habe eine gewisse Abneigung entwickelt gegen rohes Fleisch. Mit Carpaccio kann man mich nicht mehr locken.
Professor Harald zur Hausen
Der Mediziner und Virologe, Jahrgang 1936, erhielt im Jahr 2008 den Nobelpreis für Medizin. Schon in den frühen 1970er Jahren hatte sich Harald zur Hausen mit der Entstehung von Krebs als Folge von Virusinfektionen beschäftigt. Er war der Erste, der Papillomviren als Ursache bei Gebärmutterhalskrebs vermutete und dann später auch wissenschaftlich belegen konnte. Von 1969 bis 1972 war zur Hausen am Institut für Virologie der Universität Würzburg tätig. Nach Professuren in Erlangen und Freiburg leitete er schließlich von 1983 bis 2003 als Vorsitzender das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. FOTO: DKFZ