Bewegt schildert Peter Hintze im Bundestag, wie ihm ein Kameramann spontan von einem Patienten erzählte, „dessen Gesicht vom Tumor zerfressen war“. „Palliativ war nichts mehr zu machen. In seiner Verzweiflung sprang er aus dem Krankenhausfenster. Er starb durch den Aufprall“, berichtet der Bundestagsvizepräsident. „Wir wollen nicht, dass sich ein Verzweifelter, Todkranker aus dem Fenster stürzen muss.“
Das will niemand. Doch wie einer solchen Situation zu begegnen ist, da gingen die Meinungen der Abgeordneten am Donnerstag bei der ersten Lesung der vier Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe zum Teil weit auseinander. Für den CDU-Politiker Hintze ist klar, dieser Mensch braucht die Hilfe eines Arztes seines Vertrauens. Er und eine Gruppe von Abgeordneten, zu denen auch die stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Carola Reimann und Karl Lauterbach gehören, plädieren dafür, dass in diesen wenigen extremen Fällen der Patient seinen Arzt bitten können muss, ihm beim Suizid zu assistieren. Wir müssen den Menschen, die verzweifelt sind, ein Angebot schaffen“, sagte Lauterbach.
Der CDU-Abgeordnete Michael Brand warnt an dieser Stelle ebenso wie Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery, das öffne die Tür zur Tötung auf Verlangen wie in den Nachbarländern Belgien und Niederlande, ja zur Euthanasie. Sie wollen im Grunde die Entscheidungsfreiheit des Arztes, so wie sie jetzt ist, beibehalten. Das heißt vor allem in der sterbebegleitenden Palliativmedizin, Patienten mit übermäßigen Schmerzen durch Medikamente so zu sedieren (beruhigen), dass auch ein dadurch früher eintretender Tod in Kauf genommen wird. „Verzweifelten Menschen sollte man die Verzweiflung nehmen und nicht das Leben,“sagte Brand. Er erläutert, es gehe darum, die auf Wiederholung angelegte, „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe durch Vereine oder Einzelpersonen zu verbieten. Ausnahmen sollten nur nahestehenden Personen aus dem Familien- oder Freundeskreis ermöglicht werden.
Hintze wies in der Debatte darauf hin, dass dieses Verbot, anders als beabsichtigt, gerade Ärzte wie Krebsspezialisten und Palliativmediziner bedrohe, die viele todkranke Menschen begleiten. Sie müssten befürchten, dass aus den wenigen Ausnahmefällen, in denen sie Sterbehilfe leisteten, eine geschäftsmäßige Suizidhilfe konstruiert werde.
Seine Gruppe wolle mit ihrem Entwurf den Ärzten dagegen mehr Rechtssicherheit geben, unterstrich Hintze. Das sei nötig, denn auch das Berufsrecht verunsichere die Ärzte. Von den 17 Landesärztekammern ließen einige – etwa Bayern – den ärztlich assistierten Suizid zu, andere verböten ihn. Montgomery weist diese Darstellung regelmäßig zurück.
Er kündigte jetzt jedoch an, nach der Entscheidung des Bundestages im Herbst über die Berufsordnungen der 17 Landesärztekammern zur Sterbebegleitung reden zu wollen. „Das werden wir hinterher machen, wenn wir die endgültige Gesetzesfassung kennen. Möglicherweise ergibt sich daraus auch noch anderer Handlungsbedarf für uns“, sagte er.
Auch wenn mit zum Teil harten Bandagen die eigene Position vertreten wurde, die Debatte ließ erneut nichts an Respekt dem Andersdenkenden gegenüber vermissen. Doch schon bei der ersten Lesung wurde deutlich, dass der Entwurf von Brand, Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Linke) und Elisabeth Scharfenberg (Grüne) mit großem Abstand vorne liegt.
Gut 210 der 631 Abgeordneten haben diesen Antrag bereits unterzeichnet. Er ist der einzige, der von Vertretern aller vier Fraktionen unterstützt wird. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigt Sympathien für den Entwurf, will sich aber, bevor sie unterschreibt, bei Brand noch über weitere Details erkundigen.
Der Hintze-Antrag ist auf Vertreter aus der Großen Koalition konzentriert und hatte dem Vernehmen nach bei Einbringung im Bundestag etwas über 100 Unterzeichner. Die beiden anderen Gesetzentwürfe vertreten offensichtlich Außenseiterpositionen.
Der Entwurf von Abgeordneten um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) will im Grunde nur kommerziell arbeitende Sterbehilfevereine verbieten, ansonsten alles beim Alten lassen. Künast unterstrich, es gebe keine Strafbarkeitslücke.
Ein Entwurf um die Abgeordneten Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger (beide CDU) wollen, wesentlich schärfer als die heutige Regelung, Anstiftung und Beihilfe zur Selbsttötung verbieten und nur ganz extreme Ausnahmefälle straffrei stellen.
Würde sich der Brand-Gesetzentwurf im November bei der abschließenden Beratung durchsetzen, könnten Bundesärztekammer-Präsident Montgomery, die beiden großen christlichen Kirchen sowie Palliativ- und Sozialverbände gut damit leben. Mit Informationen von epd
Die Rechtslage bei der Sterbehilfe und die Gesetzentwürfe
Der Bundestag will bis Herbst die Sterbehilfe in Deutschland neu regeln. Ein Überblick über die aktuelle Rechtslage und die Reformüberlegungen:
Aktive Sterbehilfe: Sie ist in Deutschland strafbar. Wer jemanden, auf dessen Wunsch hin, tötet, wird wegen Tötung auf Verlangen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Passive Sterbehilfe: Gemeint ist der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. Laut Bundesgerichtshof dürfen Ärzte die Maßnahmen auch dann abbrechen, wenn der Patient noch nicht kurz vor dem Tod steht. Sie müssen sie abbrechen, wenn der Patient das will. Indirekte Sterbehilfe: Die Verabreichung starker Schmerzmittel (Sedierung), die durch ihre Wirkung auf geschwächte Organe das Leben verkürzen können, ist nicht strafbar, wenn dies dem Willen eines extrem leidenden Menschen entspricht.
Beihilfe zum Suizid: Suizid und Beihilfe zum Suizid sind nicht strafbar. Das heißt, ein Mittel zur Selbsttötung bereitzustellen, das der Betroffene selbst einnimmt, ist nicht strafbar.
Gesetzentwürfe zur Neuregelung: • Eine Koalitionsgruppe um Peter Hintze (CDU), Carola Reimann und Karl Lauterbach (beide SPD) will für sterbenskranke, schwerst leidende Menschen die Möglichkeit des ärztlich begleiteten Suizids schaffen und dies im Zivilrecht regeln.
• Eine fraktionsübergreifende Gruppe um Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Linke) und Elisabeth Scharfenberg (Grüne) will die geschäftsmäßige Förderung der Sterbehilfe unter Strafe stellen. Ansonsten sollen die bisherigen Regelungen gelten.
• Eine Gruppe um Renate Künast (Grüne), Petra Sitte (Linke) und Kai Gehring (Grüne) betont die Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid. Sie will aber Beihilfe zur Selbsttötung „aus Gründen des eigenen Profits“ (gewerbsmäßiges Handeln) bestrafen. Sterbehilfevereine sind ausdrücklich erlaubt, sofern sie keinen Profit erzielen wollen.
• Eine Gruppe um Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger (CDU) will mit einem neuen Paragrafen 217 Strafgesetzbuch „Anstiftung und Beihilfe an einer Selbsttötung“ verbieten. Nur in extremen Ausnahmefällen von großem Leid solle dies straffrei bleiben. Das ist die schärfste strafrechtliche Regelung. Text: dpa