Mit seiner Drohung gegen Abweichler in den eigenen Reihen hat Unionsfraktionschef Volker Kauder für Unmut in der Union gesorgt. In einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ sagte der CDU-Politiker mit Blick auf die jüngste Abstimmung im Bundestag über weitere Hilfspaketverhandlungen mit Griechenland: „Diejenigen, die mit Nein gestimmt haben, können nicht in Ausschüssen bleiben, in denen es darauf ankommt, die Mehrheit zu behalten: etwa im Haushalts- oder Europaausschuss.“ Heißt übersetzt: Wer nicht auf Linie ist, könnte Funktionen abgeben müssen.
Nicht auf Linie ist seit langem der CSU-Parlamentarier Paul Lehrieder. Wie insgesamt 60 der 311 Bundestagsabgeordneten der Union stimmte der Würzburger Mitte Juli gegen neue Verhandlungen mit Athen. Bei der bis dahin letzten Abstimmung über Griechenland-Hilfen im Februar waren es noch 29 Abweichler gewesen. Angesichts dieser Steigerung „verstehe ich die Nervosität in der Fraktion“, sagte Lehrieder im Gespräch mit der Redaktion. Generell halte er die Äußerung Kauders allerdings für „ungeschickt“.
„Jeder Abgeordnete hat sich massiv mit der Thematik auseinandergesetzt und sich die Entscheidung nicht leicht gemacht“, so Lehrieder weiter. Die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückbezahle sei laut Lehrieder „sehr hoch“. „Das wird folgende Generationen belasten. Von daher war das ganz klar eine Gewissensentscheidung, die ich als Abgeordneter getroffen habe.“
Auch der zweite unterfränkische Nein-Sager der CSU, Alexander Hoffmann, nennt Kauders Vorstoß „unglücklich“. Er habe „das nüchtern zur Kenntnis genommen“, so der Abgeordnete aus Main-Spessart. Schließlich sei für die CSU-Abgeordneten nicht Kauder, sondern in erster Linie die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, zuständig. Doch ausgerechnet von dort bekommt Kauder Rückendeckung. „Es geht nicht an, dass man Mehrheitsmeinungen, die in stundenlanger Diskussion in der Fraktion gebildet wurden, dann nicht mittragen kann“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Max Straubinger, dem „Münchner Merkur“.
Auch Hoffmann kann verstehen, „dass Volker Kauder will, dass Abgeordnete, die von ihren Fraktionen in Ausschüsse entsendet werden, auch nach dem Willen der Fraktion handeln“. Dennoch baue Kauder „eine inakzeptable Drohkulisse auf“, so Hoffmann weiter, der im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sitzt. „Wenn ich allerdings meine Gegenargumente für stärker halte, bringt auch keine Drohung etwas.“ Schließlich sei er im Ausschuss derselbe Abgeordnete wie im Plenum. „Es wäre doch schizophren, wenn ich mich im Bundestag anders als im Ausschuss verhalten müsste.“
Auch Paul Lehrieder will sich nicht in sein Abstimmungsverhalten reinreden lassen. Wenn er etwas für richtig erachte, bleibe er auch dabei – auch wenn das seiner Karriere schaden könnte. „Es ist möglich, dass ich dann für höhere Weihen in Zukunft nicht gleich zum Zug komme. Aber da muss man Prioritäten setzen“, so der Vorsitzende des Familienausschusses.
Kauder selbst hatte betont, „es stimmt nicht, dass die Nein-Sager keine Aufgaben mehr bekämen“, und verwies auf Wolfgang Bosbach, der wiederholt gegen Griechenland-Hilfen gestimmt hatte und Vorsitzender des Innenausschusses bleiben durfte. Eine Fraktionssprecherin dementierte unterdessen, dass Kauder Ausschussmitglieder austauschen wolle. Im Europa- und Haushaltsausschuss sitzen – Stellvertreter eingerechnet – insgesamt 15 Griechenland-Abweichler der Union.
Fraktionsdisziplin und freies Mandat
Die Abgeordneten des Bundestages sind laut Artikel 38 des Grundgesetzes „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“. Der Bezug auf das „ganze Volk“ begründet das freie Mandat. Doch ist der Abgeordnete auch Vertreter einer Partei, über die er in der Regel sein Mandat erhält. Ein imperatives Mandat, das seine Rechte den Interessen der Partei unterordnet, gibt es nicht. Das freie Mandat bedeutet aber nicht, dass Abgeordnete ohne Rücksicht auf Partei oder Fraktion abstimmen können. Es wird zwar jede Art von Fraktionszwang abgelehnt, nicht aber die Fraktionsdisziplin.
So werden die Rechte der Abgeordneten durch die Geschäftsordnungen der Fraktionen begrenzt – auch, um die Handlungsfähigkeit des Parlaments sicherzustellen. Die Fraktionsgeschäftsordnungen lassen das Abweichen von der Fraktionsmehrheit grundsätzlich zu. Abweichler können dennoch aus Partei und Fraktion ausgeschlossen werden, wenn sie der Gemeinschaft als nicht mehr zumutbar erscheinen, verlieren aber keinesfalls ihr Mandat. Text: DPA