Ein neuer Friedensappell des inhaftierten Rebellenchefs Abdullah Öcalan hat eine Beilegung des Kurdenkonflikts in der Türkei in greifbare Nähe rücken lassen. Der bewaffnete Kampf der von ihm gegründeten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sei nicht mehr zeitgemäß und „nicht durchzuhalten“, erklärte Öcalan anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes Newroz am Samstag. Doch während Öcalan seinen Friedenswillen betont, tun sich zwischen dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und der Regierung in Ankara tiefe Risse auf. Erdogan stellte Kernpunkte des Friedensplans infrage.
Politische Lösung gefordert
Öcalan hatte beim Newroz-Fest vor zwei Jahren einen Waffenstillstand ausgerufen, der die Kämpfe in Südostanatolien nach rund 30 Jahren beendete. Im Rahmen von Friedensgesprächen, die seit Ende 2012 laufen, fordert Öcalan nun den nächsten Schritt von Ankara. Die Geschichte und die Bevölkerung verlangten eine politische Lösung und Frieden, betonte Öcalan in einer Botschaft, die vor rund einer Million Teilnehmern einer Newroz-Feier im südosttürkischen Diyarbakir verlesen wurde.
In der Erklärung stellte der PKK-Chef erneut eine Entwaffnung der Rebellen in Aussicht. Bedingung sei die Umsetzung eines Zehn-Punkte-Plans, der im Februar von Kurdenpolitikern und der Regierung präsentiert wurde und der Forderungen nach demokratischen Reformen und mehr Pluralismus enthält. Ein Datum für den Gewaltverzicht der PKK nannte Öcalan nicht. Offenbar will er sich nicht festlegen, ohne dass Ankara die Reformprojekte zur Errichtung einer „demokratischen Republik“ in Angriff nimmt, wie es in den Zehn Punkten heißt.
Die Kurden fordern vom türkischen Staat mehr regionale Selbstverwaltung und die Zulassung des Kurdischen als zweite Amtssprache in Südostanatolien. Auch eine Begnadigung und Freilassung von Öcalan, der seit 1999 im Gefängnis sitzt, wird verlangt. Der Kommentator Murat Yatkin stellte am Sonntag in der Online-Zeitung „Radikal“ die Frage, ob Öcalan womöglich bald als Chef einer legalen Kurdenpartei in die Politik einsteigen kann.
Weniger als drei Monate vor der türkischen Parlamentswahl am 7. Juni zeigt sich Präsident Erdogan aber abweisend, was diese Veränderungen angeht. Mehrmals bezweifelte er in den vergangenen Tagen, dass es überhaupt ein Kurdenproblem gebe – alle Schwierigkeiten seien doch inzwischen beseitigt. Während einer Auslandsreise sagte er mitreisenden Journalisten, er befürchte, dass die Forderungen der Kurden kein Ende nehmen.
Erdogan kritisierte auch das Treffen von Kurden und Regierung vom Februar sowie den dabei vorgestellten Zehn-Punkte-Plan. Zudem wandte er sich gegen die Bildung einer unabhängigen Beobachtungsgruppe aus Akademikern und Intellektuellen, die den Friedensprozess begleiten soll. In seiner neuen Erklärung bezeichnete Öcalan die Gruppe ausdrücklich als Teil einer Lösung. Erdogan schimpfte dagegen, diese Beobachtergruppe werde nur dazu beitragen, Öcalan als Kurdenführer zu legitimieren.
Kritik des Staatsoberhauptes
Mit seiner Kritik schielte das Staatsoberhaupt auf rechtsgerichtete Wähler, die er vor der Parlamentswahl für die AKP gewinnen will. Er stellte aber auch die eigene Regierung bloß, die erst vor wenigen Tagen die Vorstellung der Beobachtergruppe angekündigt hatte. Das ging selbst den treuen Erdogan-Gefolgsleuten im Kabinett zu weit. Regierungssprecher Bülent Arinc wies Erdogans Äußerungen zurück und sagte, die Verantwortung liege allein bei der Regierung.
Dass Arinc den Präsidenten öffentlich auffordert, sich aus den Regierungsgeschäften herauszuhalten, ist sehr ungewöhnlich, denn auch als Staatsoberhaupt ist Erdogan der De-facto-Anführer der Regierungspartei AKP und oberster Chef des Kabinetts geblieben. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und seine Minister haben kaum eigenen Gestaltungsspielraum. Dagegen und gegen Erdogans Pläne für ein Präsidialsystem gebe es wachsenden Widerstand in der Regierung, schrieb die Zeitung „Milliyet“.