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ISTANBUL
Abdullah Güls bitterer Abschied
Die Zeiten ändern sich: 2007 waren Abdullah Gül (links) und Recep Tayyip Erdogan (rechts) noch enge Weggefährten. Heute fühlt sich der scheidende türkische Präsident Gül von seinem Nachfolger und Parteifreund Erdogan ausgebootet.
Foto: epa | Die Zeiten ändern sich: 2007 waren Abdullah Gül (links) und Recep Tayyip Erdogan (rechts) noch enge Weggefährten.
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 |  aktualisiert: 24.05.2022 09:39 Uhr

Hayrünnisa Gül ist es gewohnt, sich im Hintergrund zu halten. Sieben Jahre lang setzte sie als Gattin des türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül vorwiegend ohne Worte deutliche Zeichen: als erste türkische First Lady, die das islamische Kopftuch trägt. Doch am Dienstagabend gab Frau Gül ihre Zurückhaltung auf. Beim Abschiedsempfang des Präsidenten in Ankara platzte es aus ihr heraus. Ihr Mann sei zu gut erzogen, um viel zu sagen über all das, was ihm angetan werde, schimpfte sie. „Aber ich weiß alles.“

Abdullah Gül selbst plauderte bei dem Empfang fast beiläufig aus, dass Außenminister Ahmet Davutoglu neuer Ministerpräsident und Chef der Regierungspartei AKP werden soll, wenn der neu gewählte Präsident Recep Tayyip Erdogan nächste Woche sein Amt antritt. Damit stahl Gül seinem Nachfolger als Präsidenten die Schau: Erdogan selbst will Davutoglu an diesem Donnerstag offiziell als Nachfolger vorstellen – Güls Plauderei sollte Erdogan offenbar ärgern. Denn die Güls scheiden bitter und enttäuscht aus dem Präsidentenpalast von Ankara.

Zorn auf AKP-Anhänger

Der Zorn von Hayrünnisa Gül richtete sich nicht etwa gegen die Kritiker des Kopftuches, sondern gegen Anhänger der von ihrem Mann mitgegründeten AKP und wohl auch gegen Erdogan selbst. Was sie derzeit erlebe, sei schlimmer als die Zeiten, in denen sie wegen ihres Kopftuchs attackiert wurde, sagte sie. Lange werde sie nicht mehr schweigen: „Ich werde die Intifada anzetteln.“

Erdogan und seine Gefolgsleute hatten in den vergangenen Wochen erfolgreich verhindert, dass Abdullah Gül nach dem Ende seiner Amtszeit als Präsident rasch in hohe Partei- und Regierungsämter zurückkehren kann. Beim Empfang weigerte sich Hayrünnisa Gül, dem als besonders Erdogan-treu bekannten Journalisten Abdülkadir Selvi die Hand zu geben. „Auf Sie bin ich sehr wütend“, zischte sie ihn an. Selvi hatte geschrieben, Gül habe sich bei der AKP wieder als einfaches Parteimitglied einzureihen.

Auch Präsident Gül selbst beklagte sich über „Respektlosigkeiten“ aus den eigenen Reihen, unter denen er zu leiden gehabt habe. Erdogan will seinen treuen Berater Davutoglu als Partei- und Regierungschef, weil der neue Präsident selbst die Fäden in der Hand halten will. Erdogan will als Staatschef das Land regieren und braucht einen Erfüllungsgehilfen als Ministerpräsident, keinen Vollblutpolitiker mit eigener Machtbasis wie Gül. Deshalb ließ Erdogan den Parteitag zur Wahl des neuen AKP-Chefs auf den 27. August legen, einen Tag vor dem Ende von Güls Amtszeit; als Staatspräsident darf sich Gül nicht parteipolitisch betätigen.

Der Auftritt der Güls beim Abschiedsempfang offenbarte die tiefen Zerwürfnisse im Lager der AKP. Gül, ein ehemals enger Weggefährte Erdogans, betonte demonstrativ seine Unterstützung für das parlamentarische System – und nahm damit gegen Erdogans Präsidialpläne Stellung.

Zudem unterstrich Gül, er habe sich als Präsident nach der Verfassung Distanz zu allen Parteien bemüht – ein weiterer Seitenhieb auf Erdogan, der angekündigt hat, auch als Präsident fest auf der Seite der AKP zu bleiben. Gül ist in der Partei hoch angesehen und bei weitem nicht der einzige Politiker, der den Kurs von Erdogan mit Sorge betrachtet.

Schon in den vergangenen Monaten hatte sich Gül gegen Erdogan gestellt, etwa indem er demonstrativ das von Erdogan verfügte Twitter-Verbot umging. Auch bei den Gezi-Protesten zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden einstigen Weggefährten: Während Erdogan die Demonstranten als Plünderer beschimpfte, sagte Gül, er sei stolz darauf, dass es in seinem Land demokratische Proteste gebe.

In der Oppositionspresse werden Gül bereits Pläne zur Gründung einer eigenen Partei nachgesagt. Entsprechende Gespräche sollen hinter den Kulissen laufen. Eine neue rechtskonservative, aber reformorientierte Partei unter dem frommen Muslim und überzeugtem EU-Anhänger Gül hätte das Potenzial, Erdogans AKP zu schaden. Ob Gül wirklich so weit gehen will, ist offen.

Zunächst einmal will er nach Istanbul ziehen. Seine politische Heimat bleibe die AKP, sagte er. Damit ist klar: Gül will sich nicht aufs Altenteil zurückziehen. In den kommenden Monaten könnte er zu einem wichtigen Gegenspieler Erdogans werden.

 
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