
Überzeugender, aber nicht überragender Vertrauensbeweis für Sigmar Gabriel: Mit 83,6 Prozent der Stimmen bestätigt der Bundesparteitag in Leipzig den SPD-Vorsitzenden im Amt – und schickt ihn mit einem Denkzettel in die weiteren Koalitionsgespräche mit CDU und CSU. Delegierte aus Unterfranken loben vor allem Gabriels Engagement für die innerparteiliche Demokratie. Ob die Basis beim Mitgliederentscheid im Dezember einer Regierungsbeteiligung zustimmt, ist derweil offen.
In einer nachdenklichen und selbstkritischen Rede macht Gabriel „Glaubwürdigkeitslücken“ im Zuge der Agenda 2010 und der Großen Koalition von 2005 bis 2009 für das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl verantwortlich. Bei der Rente mit 67 oder der Mehrwertsteuererhöhung habe die SPD gegen ihr Selbstverständnis verstoßen. Dies dürfe sich nicht mehr wiederholen. Man kämpfe um bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Menschen. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro, ein gerechterer Arbeitsmarkt und die Gleichstellung von Frauen und Männern seien Verhandlungen und am Ende auch Kompromisse mit der Union wert. Ziel sei eine „befristete Koalition der nüchternen Vernunft“. Die SPD werde dabei nicht „alles oder nichts“ spielen.
Einsichten, die bei den Delegierten gut ankommen. Vor allem Gabriels Ausführungen zur innerparteilichen Mitbestimmung. „Das ist der klare Bruch mit Schröders Basta-Politik“, freut sich der Bundestagsabgeordnete Bernd Rützel (Gemünden). „Diese Rede, die steht für eine ganz neue Qualität der Diskussion“, unterstreicht Marietta Eder (Schweinfurt). Auch Rita Rösch (Bad Neustadt) gefallen die Signale an die Basis. „Wir dürfen endlich wieder mitreden.“ Herausragend dabei sei die Idee, die 470 000 Mitglieder, darunter 7300 in Unterfranken, im Dezember über einen Koalitionsvertrag entscheiden zu lassen. „Niemand weiß heute, wie eine solche Abstimmung ausgeht“, sagt Andreas Parr (Aschaffenburg). Die Kollegen nicken. „Aber sie ist ein mutiger Schritt, der uns alle stark motiviert“, betont Homaira Mansury (Würzburg). Zuletzt habe es sogar Neuzugänge in der Partei gegeben, berichtet Eberhard Grötsch, Vorsitzender des knapp 600 Mitglieder starken SPD-Stadtverbands Würzburg. „Die Leute wollen mitmachen.“
Bedeutet das am Ende eher mehr Zustimmung oder mehr Ablehnung für eine Große Koalition? „Das ist nicht so wichtig“, findet Grötsch. Aber wäre Parteichef Gabriel bei einem Nein nicht beschädigt? „Nein, das glaube ich nicht“, so Eder, „das ist eben Demokratie.“ Wie sie selbst abstimmen, wollen die mainfränkischen Delegierten nicht verraten. Rita Rösch: „Ich weiß ja noch gar nicht, was rauskommt.“ Rützel ist zuversichtlich: „Einen Wischiwaschi-Vertrag wird es nicht geben.“ Was wäre denn wichtig? „Der Mindestlohn, die Verbesserungen bei der Rente, ur-sozialdemokratische Themen eben“, so Rösch. „Und die doppelte Staatsbürgerschaft“, ergänzt Homaira Mansury. Da hat sie Sigmar Gabriel auf ihrer Seite. Wie lange nicht mehr, scheinen sich Basis und SPD-Chef einig. Auch die Öffnung hin zu möglichen Koalitionen mit der Linkspartei nehmen die Delegierten dankbar auf. „Wunderbar“, entfährt es Marietta Eder. Bernd Rützel: „Das macht uns vieles leichter.“
Da überrascht das Wahlergebnis für den Vorsitzenden dann doch: 83,6 Prozent sind deutlich weniger als die 91,6 Prozent vor zwei Jahren. „Ein ehrliches Ergebnis“, kommentiert der wiedergewählte Parteichef. „Dem schließe ich mich an“, sagt Bernd Rützel. Er persönlich hätte ein besseres Ergebnis erwartet. Die 76 Nein-Stimmen zeigten aber, so der Bundestagsabgeordnete, dass die SPD-Spitze noch Überzeugungsarbeit leisten müsse, bevor die Basis einer Großen Koalition zustimmt.