Es war geradezu ein Ritual. 30 Mal trat der Rechtsausschuss des Bundestags in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode zu Sitzungen zusammen. 30 Mal beantragten die Vertreter der Grünen und der Linken, das Thema „Ehe für alle“ auf die Tagesordnung zu setzen, um die entsprechenden Gesetzentwürfe ihrer Partei sowie einen Beschluss des Bundesrates auf Initiative des Landes Rheinland-Pfalz hin zu beraten.
30 Mal musste der schwäbische SPD-Abgeordnete Karl-Heinz Brunner in seiner Funktion als zuständiger Berichterstatter seiner Fraktion den Antrag stellen, das Thema nicht auf die Tagesordnung zu setzen, sondern auf die nächste Sitzung zu verschieben, da der Koalitionspartner noch „Gesprächsbedarf“ habe.
Mit dem Grundgesetz konform?
Und so geschah es denn auch 30 Mal – bis zur 31. Sitzung am Mittwoch. Nachdem Angela Merkel bei einer Diskussionsveranstaltung der Zeitschrift „Brigitte“ am Montagabend eher beiläufig von einer „Gewissensentscheidung“ gesprochen hatte, preschte die SPD vor und betrachtete die Regelung des Koalitionsvertrages als aufgehoben.
„Wir waren koalitionstreu bis zur Selbstverleugnung“, sagt Brunner gegenüber dieser Redaktion. Die SPD habe an ihrer Position gegenüber der Union, dass man über die Ehe für alle „jederzeit“ abstimmen könne, nie einen Hehl gemacht. Die Union habe vier Jahre Zeit gehabt, sich dem Thema zu stellen, alleine drei Mal habe sich der Bundestag damit beschäftigt.
Daher laufe der Vorwurf, die SPD peitsche das Gesetz nun übereilt durchs Parlament, ins Leere. Im Übrigen, so Brunner, heiße es auf Seite 105 des Koalitionsvertrages, dem auch CDU und CSU zugestimmt hätten: „Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen beendet werden. Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitigen.“
Die Union dagegen bleibt bei ihrer grundsätzlichen Kritik am Vorgehen des Koalitionspartners und stellt darüber hinaus die Vereinbarkeit der „Ehe für alle“ mit dem Grundgesetz infrage. Man werde unverzüglich rechtliche Schritte einleiten, sollte der Bundestag am Freitag die „Ehe für alle“ beschließen, heißt es in der Unionsfraktion. „Wir prüfen, ob ein Antrag auf abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wegen Unvereinbarkeit des Gesetzes zur ,Ehe für alle‘ mit Artikel sechs des Grundgesetzes eingereicht wird“, sagt der Justiziar der Fraktion, Hans-Peter Uhl (CSU). Um ein derartiges Verfahren in Gang zu setzen, ist ein Viertel der Abgeordneten notwendig, also 158. Die Unionsfraktion hat insgesamt 309 Mitglieder.
Das Innenministerium geht sogar davon aus, dass das Grundgesetz geändert werden muss. Nach der ständigen Auslegung des Bundesverfassungsgerichts umfasse der Artikel sechs des Grundgesetzes, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt, die Ehe zwischen Mann und Frau, sagt Innen-Staatssekretär Günter Krings. Diese Rechtsauffassung könne nicht durch ein einfaches Gesetz außer Kraft gesetzt werden, sondern nur durch eine Änderung des Grundgesetzes.
Dazu aber sind Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat notwendig. Aus Sicht der SPD ist dagegen eine Änderung der Verfassung nicht nötig.
Damit der Bundestag am Freitag in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause und somit auch in seiner letzten Sitzung vor der Bundestagswahl am 24. September überhaupt über das Thema abstimmen kann, muss die Tagesordnung geändert und der Gesetzentwurf nachträglich auf den Sitzungsplan aufgenommen werden.
Um das zu erreichen, benötigt die SPD die Stimmen der Grünen und der Linken. Doch die Mehrheitsverhältnisse sind knapp. In einem eindringlichen Appell an alle Mitglieder der SPD-Fraktion, der dieser Redaktion vorliegt, ruft Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht die Sozialdemokraten zur Geschlossenheit auf. „Wir haben gemeinsam mit Grünen und Linken nur zehn Stimmen Vorsprung vor der Union! Es kommt deshalb auf jede einzelne Stimme an, um das Gesetz zur ,Ehe für alle‘ im Bundestag zu einem guten Abschluss zu bringen.“ Es bestehe daher absolute Präsenzpflicht.
Wenn man die Abstimmung zur Geschäftsordnung nicht gewinne, „kommt das Gesetz nicht auf die Tagesordnung“. Die Abstimmung findet am Freitag um 8 Uhr morgens statt, sollte eine Mehrheit zustande kommen, findet sofort im Anschluss eine Aussprache statt, danach kommt es zur namentlichen Abstimmung. Schon kurz nach 9 Uhr könnte ein Ergebnis vorliegen.