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Energiewende
„100 Prozent erneuerbare Energien sind möglich“
Claudia Kemfert
Foto: FOTO DIW | Claudia Kemfert
Das Gespräch führte Michael Kerler
 |  aktualisiert: 11.07.2019 02:11 Uhr

Claudia Kemfert ist überzeugt, dass die Energiewende in Deutschland zu schaffen ist. Dafür müsste aber zum Beispiel der Ausstoß des Klimagases CO2 deutlich teurer werden. Die 50-Jährige ist Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Buchautorin. Sie lehrt an der Hertie School of Governance in Berlin.

Frage: Frau Kemfert, wie viel Prozent erneuerbare Energien halten Sie in Deutschland für möglich?

Claudia Kemfert: Technisch möglich sind 100 Prozent erneuerbare Energien – und das wäre auch ökonomisch lohnend: Die Kosten der erneuerbaren Energien sinken immer weiter, konventionelle Energien sind immer weniger wettbewerbsfähig. Die fossilen Energien sind eigentlich schon heute viel teurer als erneuerbare Energie, aber ihre Umwelt- und Klimakosten werden durch die Gesellschaft getragen und sind deswegen nicht eingepreist. Erneuerbare Energien stellen allerdings Ansprüche an unser Energiesystem. Das bisherige Stromsystem wurde für Atom- und Kohle-Energie geschaffen: Einige wenige Großkraftwerke versorgen die Haushalte in der ganzen Republik. Erneuerbare Energien sind dezentral organisiert und werden intelligent und dynamisch miteinander vernetzt. Dafür brauchen wir dringend andere Versorgungsstrukturen.

Trauen Sie den beiden Parteien der Großen Koalition Klimapolitik noch zu?

Kemfert: Natürlich, auch wenn beide Parteien den Klimaschutz leider bislang nur halbherzig umgesetzt haben. Dabei ist man vor 20 Jahren mit der Förderung der erneuerbaren Energien, der Einführung der Ökosteuer, dem Emissionsrechtehandel und dem Atomausstieg ganz gut gestartet. Doch als die erneuerbaren Energien rasant wuchsen, gab es zunehmend Widerstand von der Konkurrenz gegen die offensichtlich wirksamen Gesetze, die Rahmenbedingungen wurden immer weiter verschlechtert und die erneuerbaren Energien dadurch massiv ausgebremst. Das Ausbautempo der Erneuerbaren muss jetzt mindestens verdoppelt werden. Und weitere Aufgaben sind dringend zu erledigen: Kohleausstieg, Energiesparprogramme und eine nachhaltige Verkehrswende.

Heiß debattiert wurde zuletzt eine CO2-Steuer . . .

Kemfert: Der Begriff „CO2-Steuer“ ist ein Kampfbegriff derer, die klimapolitische Veränderungen ablehnen. Das Wort Steuer weckt sofort Widerstand. In Wahrheit geht es um eine ehrliche und transparente Bepreisung von CO2. Das ist dringend notwendig und mehr als überfällig.

Wird damit nicht vieles teurer?

Kemfert: Die Kosten der fossilen Energien, also Umwelt- und Klimaschäden, werden derzeit heimlich über den Staatshaushalt bezahlt – also von uns allen, ohne dass wir das merken. Schlimmer noch, wir zahlen genauso unbemerkt umweltschädliche Subventionen zum Erhalt der fossilen Wirtschaft. Diese umweltschädlichen Subventionen müssen dringend abgeschafft werden. Allein die Angleichung der Dieselsteuer an die Benzinsteuer würde über acht Milliarden Euro Einnahmen bringen. Dieses Geld könnten wir kurzfristig in den Schienenverkehr und den Ausbau einer Lade-Infrastruktur investieren. Weitere Milliarden würde es bringen, wenn wir den CO2-Preis in die Ökosteuer integrieren; im Gegenzug könnten wir die Stromsteuer senken und den Schienenverkehr billiger machen. So wären auch Menschen mit geringem Einkommen mobil. Das Gute daran: Solche Maßnahmen sind kostenneutral. Teurer wird es nur für die fossile Industrie. Aber kein Klimaschutz wäre teuer für uns alle!

Halten Sie die Klimaziele der Bundesregierung zum Beispiel für das Jahr 2050 für realistisch? Kritiker bemängeln, dass bereits heute Speicher für den Ökostrom aus Wind und Sonne fehlen.

Kemfert: Wer will, findet Wege; wer nicht will, findet Gründe. Natürlich sind die Klimaziele erreichbar, wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Notwendig sind vier zentrale Punkte: 1. Kohleausstieg heute einleiten und in spätestens zwei Jahrzehnten abschließen. 2. Erneuerbare Energien deutlich schneller ausbauen. 3. Den Ausbaudeckel für Solarenergie abschaffen. 4. Endlich die Verkehrswende in Angriff nehmen, also Dieselsteuer an die Benzinsteuer angleichen, E-Auto-Quote einführen, Lade-Infrastruktur ausbauen und den Schienenverkehr stärken. Dass Speicher fehlen, ist ein – leider gern gepflegter – Mythos. Die Technologien sind allesamt vorhanden, egal ob Batterien, Pumpspeicherkraftwerke, aus erneuerbaren Energien hergestellter Wasserstoff oder das sogenannte Power-to-Gas. Sie alle könnten sofort zum Einsatz kommen, wenn man die Rahmenbedingungen anpassen würde.

Die Sorge vor der Dunkelflaute teilen Sie also nicht? Also von Zeiten ohne Wind und Sonne.

Kemfert: Das ist ein Angstbegriff, um gezielt Stimmung gegen die Energiewende zu machen. Fakt ist: Wenn man sie dezentral ausbaut und als virtuelle Kraftwerke intelligent steuert, sind die erneuerbaren Energien genauso versorgungssicher wie konventionelle Energien. Das flexible Stromangebot und die schwankende Nachfrage können mittels digitaler Technik ohne Weiteres zu jedem Zeitpunkt ausgeglichen werden. Offshore-Wind, Biomasse, Wasserenergie und entsprechende Speicher werden die Energieversorgung auch in den maximal zwei Wochen im Jahr, in denen die Sonne wenig scheint und der Wind an Land wenig weht, problemlos sicherstellen!

 
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