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Offenburg
"Ich kenne niemanden auf der Welt, der ein so schweres Schicksal so bravourös gemeistert hat"
So erinnert sich der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel an seinen nun verstorbenen Amtsnachfolger Wolfgang Schäuble. Eine Würdigung.
Theo Waigel
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:36 Uhr

Wir haben uns am 20. Juni dieses Jahres zum letzten Mal getroffen. Es war der 100. Geburtstag von Henry Kissinger, die Feier war in Fürth. Wolfgang Schäuble kam an den Tisch, an dem meine Frau und ich saßen, sah mich an und sagte lachend: Theo, deine Augenbrauen werden grau. Ich habe ihm dann gesagt: Dein Haar wird auch lichter. Wir haben beide gelacht, in dem Wissen, dass unsere Jugend vorbei ist und wir uns im Alter zu bewähren haben. 

Mich verbindet mit Wolfgang Schäuble eine sehr, sehr lange Zeit. Uns beide haben Krieg und Nachkriegszeit geprägt, die nicht leicht waren, in der es nicht selbstverständlich war, dass man auf eine höhere Schule gehen konnte. Wir sind beide im Jahr 1972 in den Bundestag gewählt worden und waren damals im gleichen Ausschuss. Eigentlich wollten wir ja beide in einen Ausschuss, für den wir qualifiziert waren. Er war Steuerfachmann, ich war in der Wirtschaftspolitik tätig. Aber dort saßen die Alten und verteidigten ihre Pfründe. Also mussten wir in den nicht besonders geliebten Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Wir kümmerten uns um Hochschulen und berufliche Bildung, später gelang es uns doch noch durch intensive Arbeit, in unsere geliebten Ausschüsse zu kommen: er in den Finanzausschuss, ich in den Haushaltsausschuss. Er wurde parlamentarischer Geschäftsführer der CDU, ich wurde Landesgruppenvorsitzender der CSU. So sind wir über viele Jahre, ja: Jahrzehnte jede Woche mehrfach zusammengekommen.

Wolfgang Schäuble beherrschte das politische Einmaleins

Er war es im Jahr 1989, der mich aufgesucht hat und sagte: Helmut Kohl möchte, dass du als Finanzminister ins Kabinett kommst. Wolfgang Schäuble hatte dann die schwierige Aufgabe, dies meinem erfolgreichen Vorgänger Gerhard Stoltenberg mitzuteilen. Solche Sachen überließ Kohl gerne anderen. Vor allem, als es in den Jahren 1989 und 1990 um die Deutsche Einheit ging, haben Wolfgang Schäuble und ich sehr eng zusammengearbeitet – und das sehr gut. Ich hatte den Vertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion vorzubereiten, er kümmerte sich um den Einheitsvertrag. Ich habe ihn schon damals bewundert, wie sehr er sich in Details eingearbeitet hat – er brauchte nie einen Mitarbeiter, der hinter ihm saß und ihm helfen musste. Auch das kleine Einmaleins der Politik. Taktik hat er beherrscht wie kaum jemand.

Neben der politischen Arbeit haben uns auch die gemeinsamen Fußballspiele des „FC Bundestag“ verbunden. Er war ein pfeilschneller Rechtsaußen, ich spielte im Mittelfeld. Auf dem Sportplatz haben wir uns ergänzt. Und so war das auch in der Politik. Wir waren nie Gegner, obwohl Wolfgang Schäuble die Aufgabe hatte, die CDU möglichst stark zu machen – ich die Aufgabe, dass die CSU ihr Eigenleben innerhalb der Union bewahren kann. 

Wolfgang Schäuble als Politiker der Rekorde

Ein Erlebnis ist mir in Erinnerung geblieben: Vor der Bundestagswahl 1994 sah es nicht gut aus für die Union. Es gab ein Treffen im Kanzleramt, schließlich verließen alle den Raum, nur noch Wolfgang Schäuble und ich saßen uns gegenüber. Er sagte: Wenn Kohl etwas passiert, musst du es machen. Ich habe das abgelehnt. Ein CSU-Vorsitzender tut sich schwer, Kanzler zu werden, und noch schwerer, Kanzler zu sein. 

Dass Wolfgang Schäuble im Jahr 1990 Opfer eines Attentäters wurde, war ein Schlag für uns alle. Wir wussten zunächst nicht einmal, ob das ein Anschlag eines Einzeltäters war oder die Tat der RAF. Wenige Tage nach dem Attentat habe ich ihn im Krankenhaus besucht, auf meinem Rückflug aus der Klinik spürte ich eine unglaubliche Einsamkeit angesichts dieses Schicksals. Ich kenne niemanden auf der Welt, der ein so schweres Schicksal so bravourös gemeistert hat. Mitleid hat er sich verbeten. 

51 Jahre war er Abgeordneter, es gibt niemanden, der mehr geschafft hat – und ich glaube, dass es in diesem Jahrtausend niemanden mehr geben wird, der das toppen kann. Einen Rekord hat er mir immerhin gelassen: Ich war knapp länger Bundesfinanzminister. Einen anderen hat er mir abgenommen: die Schuldenhöhe. Lange galt ich als Schuldenkönig, 80 Milliarden waren das im Jahr 1996. Das hat er in der Finanzkrise steigern müssen, ohne dass er etwas dazu konnte. 

Als besonders tragisch habe ich es empfunden, dass es nie zu einer Versöhnung zwischen Wolfgang Schäuble und Helmut Kohl gekommen ist, das Verhältnis war nicht mehr zu kitten. Das tut mir heute noch leid. Wolfgang Schäuble hätte unter anderen Umständen Bundeskanzler oder Bundespräsident werden können, das Zeug dazu hatte er. Doch die Situation hat das nicht zugelassen. Dass er trotz dieser Rückschläge bereit war, weiter als Minister zu dienen, das war bemerkenswert.

 
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