Dass das Wahlrecht geändert werden muss, darüber herrscht größtenteils Einigkeit. Der Bundestag hat aktuell 736 Abgeordnete. Das sind mehr, als im Europa-Parlament sitzen. Tatsächlich ist der Bundestag das größte frei gewählte Parlament der Welt. Und ohne Reform droht er sogar noch größer zu werden. Das kostet nicht nur viel Geld, Kritikerinnen und Kritiker stellen auch die Arbeitsfähigkeit eines derart großen Parlamentes infrage. Doch wie die Ampel-Koalition das Wahlrecht nun reformiert, hat einen Aufschrei ausgelöst. Bei denjenigen, die sich benachteiligt fühlen, aber auch bei vielen Beobachterinnen und Beobachtern.
Wahlrechtsreform: Mit dem neuen Wahlrecht wäre die Linke nicht mehr im Bundestag
Das neue Wahlrecht soll bei der nächsten Bundestagswahl erstmals gelten. Welche Folgen die Änderung hat, zeigt sich, wenn man die Sitzverteilung des aktuellen Bundestages nach den neuen Regeln berechnet. Zuerst einmal zum Vergleich: Diese Sitzverteilung hat sich nach der Wahl 2021 ergeben:
Hätte bereits das neue Wahlrechts gegolten, wäre das vor allem für die Linke verheerend gewesen. Sie wäre nicht mehr im Parlament vertreten. Das wäre die Sitzverteilung nach neuem Wahlrecht:
Insgesamt wäre der Bundestag aber kleiner: Er schrumpft von aktuell 736 auf künftig 630 Sitze. Daher hätten auch in unserem Beispiel alle Parteien weniger Abgeordnete. Doch sie wären unterschiedlich stark betroffen:
Wie kommt es zu diesen Veränderungen? Das liegt daran, dass die Wahlrechtsreform der Ampel an zwei Stellschrauben dreht:
1. Die sogenannte "Zweitstimmendeckung" wird eingeführt
Anders als bisher ist nicht garantiert, dass jeder Wahlkreissieger in den Bundestag einzieht. Stattdessen dürfen nur so viele Abgeordnete einen Sitz bekommen, wie der Partei nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Gibt es zu viele Wahlkreissieger, erhalten diejenigen mit dem schlechtesten Ergebnis kein Mandat. Bei der Wahl 2021 hätte das neue Wahlrecht dazu geführt, dass sieben CSU-Abgeordnete, obwohl sie ihren Wahlkreis gewonnen haben, nicht im Bundestag säßen.
Damit fallen die sogenannten Überhang- und Ausgleichsmandate weg. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Wahlkreise gewonnen hat, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustehen. Ausgleichsmandate erhalten dann die anderen Parteien, damit die Verhältnisse im Bundestag wieder dem der Zweitstimmen entsprechen. Das hat dazu geführt, dass der Bundestag immer größer werden konnte.
Aber: Um das Wachstum zumindest zu begrenzen, hat sich die damalige Große Koalition 2020 auf eine kleine Reform geeinigt: Statt alle Überhangmandate auszugleichen, wurden bis zu drei dieser Sitze nicht kompensiert. Davon hat die CSU profitiert. Die hat 45 der 46 Wahlkreise in Bayern gewonnen, durch ihr Zweitstimmenergebnis hätten ihr aber deutlich weniger Sitze zugestanden. So entstanden Überhangmandate, die durch Ausgleichsmandate für anderer Parteien kompensiert wurden – bis auf drei. Deshalb hat die CSU im Bundestag drei Stimmen mehr, als ihr nach der Zweitstimme zustehen würden.
2. Die sogenannte "Grundmandatsklausel" fällt weg
Der Linken wäre bei der Bundestagswahl 2021 die zweite Änderung des Wahlrechts zum Verhängnis geworden. Die Partei erreichte bundesweit nur 4,9 Prozent der Stimmen und wäre somit eigentlich an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Aber bisher zogen auch Parteien in den Bundestag ein, die mindestens drei Wahlkreise gewonnen hatten – wie die Linke. In so einem Fall erhielt die Partei trotzdem die Zahl der Sitze, die ihr nach den Zweitstimmen zustand.
Künftig gilt aber eine harte Fünf-Prozent-Hürde ohne Hintertür. Die Linke wäre mit dem Ergebnis von 2021 nicht mehr im Bundestag.
Was aber bleibt: eine Ausnahme der Fünf-Prozent-Hürde für Parteien nationaler Minderheiten. Eine solche ist der Südschleswigsche Wählerverband (SSW). Wegen dieser Sonderregel sitzt ein Abgeordneter dieser Partei der Dänischen Minderheit im Bundestag, obwohl der SSW nur etwa 0,1 Prozent der Stimmen erhalten hat.
Auch der CSU droht durch die Wahlrechtsreform 2025 das Aus aus dem Bundestag
Der Wegfall der Grundmandatsklauselkönnte auch für die CSU zum Problem werden. Denn die Fünf-Prozent-Hürde gilt bundesweit. Und da die CSU außerhalb Bayerns gar nicht antritt, lag ihr bundesweites Ergebnis 2021 nur bei 5,2 Prozent. Bisher hat die Grundmandatsklausel der CSU, die in der Regel fast alle bayerischen Wahlkreise gewinnt, den Einzug in den Bundestag gesichert.
Doch künftig kann die CSU an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Nach den neuen Regeln dürften dann auch die direkt gewählten Abgeordneten nicht in das Parlament einziehen.