Am Anfang steht der Small Talk. Doch der gestaltet sich ein wenig zäh. Annalena Baerbock sitzt mit ihrer engsten Delegation an einem massiven Holztisch in der prachtvollen Residenz des Gouverneurs von Texas. Die hellblauen Wänden des State Dining Rooms werden geziert von Gemälden in goldenen Rahmen, an der Decke hängt ein Kronleuchter. Auf der anderen Seite des Tisches sitzt zwischen seinen Beratern der republikanische Gouverneur Greg Abbott, der mit dem Gast aus Germany zunächst nichts Richtiges anzufangen weiß.
Wo sie denn herkomme und ob sie schon einmal in Texas war, will der 65-Jährige, der seit einem Unfall vor vier Jahrzehnten im Rollstuhl sitzt, von der deutschen Außenministerin wissen. Besonders intensiv scheint die Vorbereitung für die Begegnung auf seiner Seite nicht gewesen zu sein.
Mit Annalena Baerbock und dem texanischen Gouverneur Greg Abbott treffen Welten aufeinander
Doch dann müssen die Reporter den Raum verlassen, und irgendetwas scheint sich zu verändern. Den Eindruck bekommt man jedenfalls, als die ursprünglich auf 30 Minuten angesetzte Begegnung nach einer knappen Stunde endet. Teilnehmer berichten von einer „angenehmen Atmosphäre“. Baerbock selber bekundet draußen vor laufenden Kameras: „Es hätte noch Stunden weiter dauern können.“
Das ist dann doch einigermaßen überraschend, denn eigentlich hätte man sich kaum eine brisantere Konstellation vorstellen können: Die grüne deutsche Ministerin, Vorkämpferin einer feministischen und an Werten orientierten Außenpolitik, trifft einen rechtspopulistischen Hardliner, der in seinem Bundesstaat die strengsten Abtreibungsgesetze durchgedrückt hat, Migranten mit Bussen auf eine Odyssee durchs Land schickt und als Öl- und Gaslobbyist den rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien zu bremsen versucht.
Baerbock weiß, dass sie den rechten Politiker Greg Abbott nicht umdrehen kann
Das alles hätte durchaus erhebliches Konfliktpotenzial. Doch Abbott als Vertreter eines boomenden Bundesstaats mit mehr als 30 Millionen Einwohnern und der neuntstärksten Wirtschaft der Welt ist selbstbewusst genug, um Kritik mit einem Pokerface an sich abperlen zu lassen. Und Baerbock geht es nicht um Konfrontation. In dem Gespräch, so berichten Teilnehmer anschließend, seien von der Energiepolitik bis zum Ukrainekrieg viele Themen angesprochen worden. Bei gesellschaftspolitischen Konfliktthemen beließ man es aber bei einer Markierung der unterschiedlichen Positionen.
Baerbock ist nicht naiv. Sie weiß, dass sie den stramm rechten Politiker nicht umdrehen kann. Ihr geht es um etwas anderes – um das Erkunden der Stimmung, aber auch Kontaktanknüpfungen ins republikanische Lager für den beunruhigenden Fall einer zweiten Amtszeit von Donald Trump. Ausgeschlossen ist das keineswegs: Der Ex-Präsident hat aus heutiger Sicht beste Chancen, erneut Kandidat seiner Partei zu werden, und bei Umfragen liegt er mit Amtsinhaber Joe Biden derzeit etwa gleichauf.
Für Europa wäre eine zweite Trump-Amtszeit, bei der man nicht mehr auf das Chaos und die Fehler des ersten Anlaufs setzen kann, ein Horrorszenario. In Berlin beginnt man daher mit dem Knüpfen eines Notfallnetzes. Schon länger bemüht sich der Transatlantik-Koordinator Michael Link konsequent um Kontakte zu republikanischen Politikern in den USA. Acht republikanische Bundesstaaten hat er inzwischen besucht. „Diplomatie muss immer in Szenarien denken“, sagt der FDP-Mann zur Begründung: „Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, damit wir nicht noch einmal auf dem falschen Fuß erwischt werden.“
Texas ist ein Bundesstaat der Extreme
Einer ähnlichen Philosophie scheint nun auch Baerbock zu folgen. Das Programm ihrer mit zehn Tagen ungewöhnlich langen USA-Reise ist demonstrativ breit aufgestellt. Das beginnt damit, dass die Außenministerin am Dienstag nicht in Washington, sondern in der texanischen Hauptstadt Austin landet. Cowboys sieht man hier schon lange nicht mehr. Seit dem Umzug des Autobauers Tesla zieht die bunte Metropole massiv Techexperten und Unternehmen aus dem Silicon Valley an. Houston, die zweite Station der Reise, hat hingegen als Epizentrum der Öl- und Gasindustrie seit dem Ukrainekrieg an Bedeutung gewonnen, auch wenn der Bundesstaat inzwischen 20 bis 30 Prozent seiner Energie aus Wind und Sonne bezieht.
„Texas ist ein Bundesstaat der Extreme in einem Land der Extremen“, sagt Baerbock nach ihrem Gespräch mit dem Gouverneur: „Mit einem Bein“ stehe der Bundesstaat noch in der fossilen Welt, während er zugleich führend bei erneuerbaren Energien sei. Eine „unglaubliche demografische Veränderung“ durchlaufe der Bundesstaat, dessen Bevölkerung inzwischen nur noch zu 40 Prozent weiß ist, und erlebe zugleich eine „wahnsinnige gesellschaftliche Spaltung“.
Die politische Spaltung verläuft vor allem zwischen Stadt und Land. Außerhalb der großen Städte ist der zweitgrößte Bundesstaat der USA stramm konservativ. Wer die kulturellen Unterschiede verstehen will, der muss sich hier umschauen. Nach einem langen Tag macht Baerbock mit ihrer Delegation auf der Fahrt nach Houston im Örtchen La Grange Rast. Trump hat in der Region 79 Prozent der Stimmen geholt. Im „Back Porch Barbeque“ geht es rau, aber herzlich zu. Selbstverständlich werden Brisket, Ribs und Coleslaw auf Styroportellern mit Plastikbesteck geladen.
Auf Baerbocks USA-Reise ist auch ein Treffen mit dem demokratischen Bürgermeister von Houston geplant
Keineswegs will Baerbock in Texas nur mit Republikanern reden. Für den heutigen Mittwoch ist ein Treffen mit Sylvester Turner, dem demokratischen Bürgermeister von Houston, geplant. Nach ihrem Weiterflug nach Washington wird die Ministerin dort ihren Amtskollegen Antony Blinken zum Abendessen und zu einem Gespräch treffen, bei dem die Ukraine eine zentrale Rolle spielen dürfte.
Aber auf der ganzen Reise ist das Bemühen sichtbar, Gesprächskanäle ins republikanische Lager zu eröffnen oder zu erhalten. So steht in Washington auch eine Begegnung mit dem Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, auf dem Programm. Am Donnerstag wird Baerbock ein Live-Interview im Fernsehen geben – nicht etwa bei den liberalen Sendern CNN oder MSNBC, sondern beim rechten Kanal Fox. Die Grünen-Politikerin weiß, dass sie dessen Zuschauer oder gar führende Republikaner kaum politisch überzeugen kann. Aber sie will zumindest, dass ihre – abweichende – Stimme wahrgenommen wird.
Irgendwann in ihrem Gespräch mit Gouverneur Abbott erwähnt Baerbock, dass sie am heutigen Tag den Luftwaffenstützpunkt Wichita Falls besuchen wird, wo amerikanische und deutsche Piloten ausgebildet werden.
„Sagten Sie Wichita Falls?“, reagiert der Gastgeber wie elektrisiert: „Da wurde ich geboren.“ Die deutsche Ministerin reagiert schlagfertig: „Kommen Sie doch mit!“, fordert sie den Republikaner auf.
Die Runde lacht. So weit geht die ungleiche Partnerschaft denn doch nicht.