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Berlin/Kiew
Kann man den Ukraine-Krieg "einfrieren"?
SPD-Fraktionschef Mützenich verärgert nicht nur seine Koalitionspartner mit dem Vorstoß, die Kämpfe in der Ukraine vorerst auszusetzen. Auch Experten halten wenig von der Idee.
Ukraine-Krieg - Odessa.jpeg       -  Feuerwehrleute beseitigen in Odessa die Folgen eines Raketenangriffs durch russische Truppen.
Foto: Ukrinform, dpa | Feuerwehrleute beseitigen in Odessa die Folgen eines Raketenangriffs durch russische Truppen.
Margit Hufnagel
 |  aktualisiert: 22.03.2024 02:57 Uhr

Irgendwann kam dieser Moment, in dem Annalena Baerbock ihren inneren Groll zumindest für einen kurzen Moment nach außen lassen musste. Sie fasste sich an die Schläfen, legte die Stirn in Falten, schüttelte leicht den Kopf, der Blick ließ längst nicht mehr nur erahnen, dass sie brodeln musste. Der Auslöser ihres Ärgers heißt Rolf Mützenich, er ist Chef der SPD-Fraktion im Bundestag, ein Mann mit erheblicher politischer Macht. 

In der Bundestagsdebatte um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine hatte er in der vergangenen Woche gefragt: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“ An die Taurus-Befürworter gerichtet, sagte er: „Zeitenwenden sind nichts für politische Spielernaturen. Gebraucht wird Verstand, Besonnenheit und Klarheit.“

Russland zeigt keine Bereitschaft für Frieden

Selbst Politiker der Koalitionspartner FDP und Grüne befürchten einen Rückfall in eine überkommen geglaubte sozialdemokratische Russland-Politik. Es galt als Konsens der Regierungsparteien, dass es Russland nicht erlaubt werden dürfe, die Ukraine maßgeblich zu schwächen. Inzwischen fühlten sich die beiden SPD-Chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken bemüßigt, dies zu betonen. Die SPD stehe zu einer uneingeschränkten Unterstützung der Ukraine. „Und dass wir natürlich auch die Sehnsucht nach Frieden, die insbesondere Ukrainerinnen und Ukrainer hegen, teilen“, sagte Esken. Und doch musste die Co-Vorsitzende der Sozialdemokraten zugeben: „Alleine die Bereitschaft auf russischer Seite ist nicht vorhanden und solange wird es notwendig sein, dass die Ukraine sich verteidigt.“

Das stellen auch Experten klar: „Je mehr Russland im Krieg erreicht und je sicherer Moskau sein kann, dass die westliche Unterstützung zerbröselt, desto weniger Interesse hat Putin an solchen Waffenstillständen“, schreibt Sabine Fischer, Osteuropa-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, auf der Plattform X. Der aktuelle Beschuss Odessas zeige, dass Russland die Eroberung der gesamten ukrainischen Schwarzmeerküste nicht aufgegeben habe. 

„Natürlich kann man einen Krieg einfrieren“, sagt Joachim Krause vom Institut für Sicherheitspolitik in Kiel. Doch es gebe Voraussetzungen. „Das passiert etwa dann, wenn beide Seiten keine Option mehr sehen für weitere Gewinne oder wenn beiden Seiten zur gleichen Zeit die Waffen und vor allem die Munition ausgehen“, so Krause - beides ist aktuell nicht der Fall in der Ukraine. Russland kann sich im Gegenteil berechtigte Hoffnungen auf weitere Erfolge machen, sollte der Westen die Ukraine nicht weiter und vor allem stärker unterstützen. „Das Einfrieren eines Krieges kann man sich zwar wünschen, aber weder Herr Mützenich noch irgendjemand in der Bundespolitik wird das umsetzen können“, stellt Krause klar. „Wenn man ihm gut gesonnen ist, kann man das als romantisches Wunschdenken eines Pazifisten abtun, der immer noch nicht in der Realität angekommen ist. Wenn man ihm weniger positiv gesonnen ist, dann könnte man das als innenpolitisch motivierten Versuch interpretieren, die SPD zur Friedenspartei hochzustilisieren, die sich von den ,Bellizisten’ von Union, Grünen und FDP abhebt und dadurch für Wähler attraktiv wird“, sagt Krause. Sollte Letzteres der Fall sein, würde daraus gleichwohl keine realistische Option für einen Waffenstillstand in der Ukraine erwachsen. „Im Gegenteil, Deutschland würde mal wieder international als Wackelkandidat wahrgenommen“, mahnt der Experte.

Eingefrorene Konflikte schwächen die betroffenen Länder

Die Regierung in Kiew hat in der Vergangenheit bereits bittere Erfahrungen damit gemacht, wie wenig verlässlich Absprachen mit dem Kreml sind. Nachdem im Jahr 2014 von Russland unterstützte Separatisten die „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk besetzt hatten und Moskau sich die Insel Krim einverleibt hatte, hoffte die internationale Gemeinschaft, mit den Minsker Verträgen zumindest das Blutvergießen zu beenden. Doch nicht nur, dass die Angreifer sich nicht an die Vereinbarungen hielten, Präsident Wladimir Putin setzt seit dem 24. Februar 2022 das Werk der Separatisten fort und versucht, die gesamte Ukraine zu schwächen. 

Die britische Denkfabrik „Chatham House“ schrieb im Sommer 2023 in einem Report: „Ein territorialer Verzicht mag von einigen als ein Preis verteidigt werden, der es wert ist, für ein dauerhaftes Ende von Russlands Bemühungen, um eine Destabilisierung seiner Nachbarschaft und die Schaffung einer russischen Herrschaftssphäre im 21. Jahrhunderts zu schaffen. Wahrscheinlicher ist, dass damit genau das Gegenteil erreicht wird: Russland wird ermutigt, seine Expansionsstrategie fortzusetzen.“ 

Wie schwer es ist, Kriege einzufrieren, zeigen internationale Beispiele. In Transnistrien herrscht ein pro-russischer Machthaber. Die Region ist seit den 1990er-Jahren von Moldau abtrünnig. Der Kreml hat bereits seit Jahrzehnten eigene Soldaten dort stationiert hat. Beobachter werfen Russland vor, die Lage immer wieder gezielt mit Provokationen zu destabilisieren. Wie sehr Putin eine Annäherung an die EU ein Dorn im Auge ist, musste auch Georgien erfahren: Die Gebiete Abchasien am Schwarzen Meer und Südossetien sind abgespalten, Russland hat sie als unabhängig anerkannt, die internationale Gemeinschaft weigert sich. Die Sorge ist, dass ein Funke genügt, um die Gewalt erneut anzufachen. „Für Russland war ein eingefrorener Konflikt noch nie ein Weg zum Frieden, sondern eine Plattform, um vermeintliche Gegner weiter zu schwächen“, so die Analyse von "Chatham House".

Ende des Koreakrieges als Vorbild?

Auch der Konflikt zwischen Nordkorea und Südkorea wird immer wieder als Beispiel herangezogen. Die beiden Staaten haben nach dem Koreakrieg nie einen Friedensvertrag unterschrieben, stattdessen wurden die Kämpfe eingefroren. Doch die USA leisten einen großen personellen und finanziellen Aufwand, um die anhaltenden Spannungen zumindest in Grenzen zu halten. Fast 30.000 amerikanische Soldaten sind bis heute in Südkorea stationiert – einen Schritt, den die Nato für die Ukraine kategorisch ausschließt. Hinzu kommt: Der Koreakrieg war ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion, nach dem Tod Stalins wuchs der Wunsch, den Krieg zu beenden, der außenpolitische Kurs der Sowjets verschob sich. In der Ukraine strebt Putin hingegen die Wiederherstellung eines Groß-Russlands an, eine Vorstellung, die er immer wieder öffentlich betont.

 
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