Die Türkei hält immer mehr Deutsche im Land fest. Die Zahl der Bundesbürger in türkischer Haft oder mit Ausreisesperre ist innerhalb eines Jahres von 104 auf 130 gestiegen. Das geht aus der Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine Anfrage der Linken-Politikerin Gökay Akbulut hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Akbulut kritisierte, die Zahlen seien auch eine Folge der "schwachen deutschen Türkei-Politik“. Berlin trete gegenüber der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht entschlossen genug auf.
Derzeit sitzen 64 Bundesbürger in türkischen Gefängnissen, neun mehr als vor einem Jahr. Weitere 66 Deutsche können die Türkei wegen einer Ausreisesperre nicht verlassen – ein Anstieg um 17 Fälle seit Juni 2022. Die meisten deutschen Häftlinge sitzen nach Angaben des Auswärtigen Amtes wegen krimineller Strafvorwürfe ein. In 13 Fällen wird die Haft aber mit Verstößen gegen die Antiterrorgesetze begründet, mit denen die türkische Justiz auch kritische Meinungsäußerungen verfolgt. Die Hälfte der Ausreisesperren wurde den Angaben zufolge wegen des Verdachts auf Ehrverletzungen oder Verstößen gegen die Antiterrorgesetze ausgesprochen.
Türkei: Zahl der Einreisesperren steigt sprunghaft an
Auch die Zahl der Einreisesperren gegen Deutsche in der Türkei wächst. Vor einem Jahr wusste das Auswärtige Amt nach eigenen Angaben von drei Fällen dieser Art, diesmal sind es 23. Die Antwort des Ministeriums auf Akbuluts Anfrage enthielt keine Informationen über die regionale Herkunft der Betroffenen in Deutschland.
Besonders Deutsche türkischer Herkunft laufen bei Besuchen in der Türkei Gefahr, wegen Äußerungen in den sozialen Medien festgenommen und/oder an der Grenze zurückgewiesen zu werden. Anlass sind häufig Kritik an Erdogan oder Kommentare zur Kurdenpolitik, die als Unterstützung für die Terrororganisation PKK gewertet werden.
Deutschland und die EU kritisieren seit Jahren, die Türkei entferne sich von den rechtsstaatlichen Vorstellungen Europas. Kritische Äußerungen, die in der EU von der Meinungsfreiheit geschützt sind, werden in der Türkei mit Gefängnisstrafen geahndet. Erdogans Regierung weist die Vorwürfe zurück und hält ihrerseits den Europäern vor, nicht entschieden genug gegen antitürkische Organisationen in ihren Ländern vorzugehen.
Kritik an Bundesregierung
Akbulut sagte unserer Redaktion, die Bundesregierung solle sich stärker für die Rechte Andersdenkender in der Türkei einsetzen. Davon würden auch die inhaftierten Deutschen profitieren. Sie habe aber nicht viel Hoffnung, dass Berlin entschiedener auftreten werde, fügte Akbulut hinzu. Sie verwies darauf, dass Bundesaußenministerin Annalena Baerbock als eine der ersten internationalen Spitzenpolitikerinnen dem neuen türkischen Außenminister Hakan Fidan zum Amtsantritt gratuliert habe. Dabei habe Fidan als bisheriger Geheimdienstchef vermeintliche Kritiker Erdogans im In- und Ausland verfolgt. "Von einer feministischen Außenpolitik erwarte ich eine andere Tonart zur Beförderung von Hakan Fidan“, sagte Akbulut.
Rund drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben in Deutschland– es kursieren Zahlen von 2,8 bis 3,5 Millionen; die Gruppe ist heterogen. Bundesweit waren diesmal 1,5 Millionen Menschen wahlberechtigt. Von ihnen haben 50,4 Prozent bei der Stichwahl ihre Stimme abgegeben – gut 500.000 von ihnen für Erdogan. Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) stellt klar, dass das – ausgehend von drei Millionen Türkeistämmigen – nur eine Minderheit ist.