Ein Slogan stand symbolisch für den Optimismus vieler Thailänderinnen und Thailänder vor den Parlamentswahlen im Mai: Mit „Der Frühling kommt“ hatte die progressive Partei Move Forward der Hoffnung auf echte Demokratie und das Aufbrechen der lähmenden Verkrustungen im Land Ausdruck verliehen. Doch knapp drei Monate später ist Thailand, das von vielen Touristen aus dem Westen als Land des Lächelns und der freundlichen Menschen wahrgenommen wird, von einem politischen und gesellschaftlichen Frühling weit entfernt. Es scheint, dass die Kräfte der Beharrung, die konservative Eliten und das Militär doch noch einmal die Oberhand behalten würden.
Dabei sah es einige Zeit so aus, als könnte der charismatische Kandidat Pita Limjaroenrat der siegreichen Move Forward mit einer Koalition aus acht Parteien, die auf 312 der 500 Sitze im Repräsentantenhaus kam, tatsächlich Premierminister werden. Daraus wird nun wohl nichts werden. Da ist einmal der Umstand, dass es in Thailand nicht ausreicht, über eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu verfügen, um auch Regierungschef zu werden. Denn im Königreich stimmen neben 500 gewählten Abgeordneten auch 250 vom Militär ernannte, fast durchweg konservative Senatoren über den Premier ab. Diesen doppelten Boden zogen die Streitkräfte nach ihrem Putsch von 2014 ein. Die Senatoren sorgten jetzt dafür, dass Pita nicht Premier werden konnte.
Die Partei Move Forward wollte das Gesetz gegen Majestätsbeleidigung entschärfen
Allerdings gibt es auch eine brisante politische Frage, die den Ambitionen des 42-jährigen Pita, der in den Großstädten klare Mehrheiten holte und insbesondere von vielen Jüngeren fast wie ein Popstar verehrt wird, im Weg steht. Seine Partei hatte sich an das extrem strenge Gesetz zur Majestätsbeleidigung gewagt und eine Entschärfung angekündigt. Damit brachte Pita nicht nur die Konservativen gegen sich auf, sondern auch den wichtigsten Partner in der Koalition. So versicherte die zwar pro-demokratische, aber weniger liberale Partei Pheu Thai, dass der ominöse Artikel 112 nicht angetastet werde, wenn ihr Spitzenkandidat Srettha Thavisin– ein 60-jähriger Immobilien-Millionär – an die Macht gelangen sollte. Pheu Thai erreichte mit 141 Sitzen nur zehn Sitze weniger als Move Forward.
Die Verbitterung der Anhänger Pitas ist vornehmlich in der Hauptstadt Bangkok spürbar. Es kam zu Protesten, die aber nicht die Intensität erreichten wie die Demonstrationen gegen das Establishment im Sommer 2020.
In der vergangenen Woche wurde die geplante zweite Abstimmung über einen neuen Premier im Repräsentantenhaus sowie im Senat erneut verschoben. Zunächst soll das Verfassungsgericht bis spätestens 16. August entscheiden, ob Wahlsieger Pita sich ein zweites Mal zu dieser Wahl stellen darf. Genau dies hatte eine Mehrheit der Parlamentarier verhindert – ob dies rechtmäßig war oder nicht, soll das Gericht nun entscheiden.
Wie auch immer der Richterspruch lautet, dass Pita noch eine Chance auf den Ministerpräsidentenposten hat, glaubt in Bangkok nach dem Ausstieg der Partei Pheu Thai aus dem Bündnis kaum noch jemand. Pheu Thai versucht, eine Regierungsmehrheit mit konservativen Parteien zu schmieden. Ausdrücklich nicht Bestandteil einer möglichen Koalition soll die Partei Phalang Pracharat sein, allerdings dürfte Pheu Thai auf Stimmen von deren Abgeordneten hoffen. Phalang Pracharat unterstützt den scheidenden Ministerpräsidenten Prayut Chan-o-cha und seine Militärjunta. Prayut kam 2014 durch einen Staatsstreich an die Macht. Für Pitas Anhänger ist die neue Linie von Pheu Thai nichts anderes als Verrat.
Die Gewichte haben sich zugunsten der demokratischen Kräfte verschoben
Bleibt also alles beim Alten in Thailand oder drohen gar wieder Straßenschlachten der „Gelbhemden“, die das Establishment unterstützen, gegen die progressiven „Rothemden“? Kaum, denn die Gewichte haben sich nach neun Jahren Militärdiktatur verschoben. Von einer Spaltung des Landes kann heute keine Rede mehr sein, denn die Gegner der Militärs sind längst klar in der Mehrheit. Die Parteien, die den Streitkräften nahestehen, wurden bei den Wahlen durch die Bank abgestraft. Auch wenn der Paragraf 112 den wenig beliebten König Maha Vajiralongkorn weiter mit drakonischen Strafen vor Kritik schützen soll, ist die Monarchie bei Weitem nicht mehr so sakrosankt wie noch zur Zeit von König Bhumibol Adulyadej, der von 1946 bis 2016 auf dem Thron saß.
Die Elite kann sich nur noch durch Repressionen, Sicherheitskräfte und antidemokratische Gesetze an der Macht halten kann. Ebenso offensichtlich ist, dass die politische Instabilität Thailand massiv schadet, auch ökonomisch. Wenn das Establishment und das Militär bei ihrer starren Haltung bleiben, könnte die immer größere Unzufriedenheit der Thailänder wieder zu Protesten und Unruhen führen.