War das, was am Mittwoch in La Paz passierte, nun ein Putschversuch, „unregelmäßige Truppenbewegungen“ oder ein inszenierter, bestellter Aufstand? Nach mehreren Stunden Ungewissheit war zumindest klar: Boliviens Armeechef, General Juan José Zuniga, trägt Handschellen und eine schusssichere Weste mit der Aufschrift: Verhaftet. Der Vorwurf lautet Terrorismus und bewaffneter Aufstand gegen die Souveränität des Staates. Das Andenland stand für einige Stunden am Rande einer Staatskrise. Die Regierung spricht von einem Putschversuch und verweist „auf neun Verletzte, die beweisen, dass es keine Simulation“ war. Zu den Hintergründen des Putschversuchs bleibt allerdings vieles unklar. Der General erhob unmittelbar vor seiner Verhaftung Vorwürfe gegen Präsident Luis Arce, der ihn aufgefordert habe, etwas zu unternehmen, um dessen Popularität zu steigern.
Kurz zuvor war Armeechef Zuniga mit Getreuen Richtung Plaza Murillo marschiert. Staatschef Luis Arce und der abtrünnige General standen sich auf den Fluren des Regierungspalastes Quemado Auge in Auge gegenüber. Doch dann gelang es Arce, die Führungsriege seines Militärs auszutauschen, die Putschisten festzusetzen und die Truppen zum Abzug zu bewegen.
Will Morales zurückkehren als Präsident?
Möglicherweise richtete sich der Putschversuch gegen eine erneute Präsidentschaftskandidatur des früheren Staatschefs Evo Morales (2006–2019). Berichten zufolge hatte Zuniga gesagt, Morales dürfe nicht als Präsident zurückkehren, und gedroht, sich ihm in diesem Fall in den Weg zu stellen. Arce und Morales liefern sich seit Jahren einen unerbittlichen Machtkampf um die Führungsrolle in der Partei und im Land. Als die Nachrichten und Bilder von den Militärs in La Paz um die Welt gingen, reagierte die internationale Staatengemeinschaft blitzschnell. Egal ob die rechtslibertäre Regierung von Javier Milei in Argentinien oder die künftige linke Präsidentin Claudia Sheinbaum in Mexiko – ihre Botschaft war dieselbe: Die Demokratie sei nicht verhandelbar, ihre Solidarität gelte Luis Arce. Militärputsche waren in Lateinamerika über viele Jahre hinweg keine Seltenheit. In Argentinien, Chile und Brasilien starben Zehntausende Menschen.
Im internen Machtkampf mit Morales geht Arce damit als klarer Sieger hervor. Er wird von der internationalen Gemeinschaft als legitimer Präsident Boliviens betrachtet, eine Rolle, die auch Morales mehr oder weniger offen für sich beansprucht. Arce steht derzeit mit dem Rücken zur Wand: Die wirtschaftliche Lage des Landes ist desaströs, ein Teil seiner Partei akzeptiert seine Führungsrolle nicht mehr. Nun aber kann er mit starken Bildern punkten.
Krise in Bolivien schwelt seit 2016
Der Ursprung der heutigen Krise liegt im Februar 2016. Damals wollte Morales per Referendum die Verfassung ändern lassen, um eine erneute Präsidentschaftskandidatur zu ermöglichen. Doch als die Bolivianer Nein zu einer weiteren Kandidatur sagten, brach Morales sein Wort, das Ergebnis zu respektieren. Er setzte gegen den Wählerwillen seine Kandidatur auf juristischem Wege durch. Es folgten die hoch umstrittenen Wahlen 2019, die letztendlich zur Flucht von Morales ins Ausland führten.
Bei den Neuwahlen 2020 gelang den Sozialisten schließlich ein klarer Sieg – angeführt von Morales ehemaligem Wirtschaftsminister Luis Arce. Die demokratische Ordnung war wiederhergestellt, allerdings landete die für die Durchführung der Wahlen zuständige konservative Interimspräsidentin Jeanine Áñez anschließend im Gefängnis. Ihr wurde die Gewalt bei den anschließenden Unruhen angelastet. Der ins Ausland geflohene Morales dagegen wurde nicht belangt, was die Opposition als grobe Ungerechtigkeit empfindet.
Machtkampf wird stetig geschürt
Die durch die Neuwahlen herbeigeführte neue Hierarchie innerhalb der Regierungspartei MAS akzeptiert Morales bis heute nicht. Zuletzt organisierte er Straßenblockaden gegen Arce, warf dessen Familie Korruption vor und strebt die rechtlich umstrittene erneute Präsidentschaftskandidatur innerhalb der MAS an.
Wie fundamentalistisch Morales im Machtkampf vorgeht, zeigt der Bruch mit seinem langjährigen Vizepräsidenten Álvaro García Linera, der Morales 14 Jahre loyal diente. Der sah mit Sorge die Aufsplitterung seiner Regierungspartei in zwei unversöhnliche Lager: „Wenn Morales und Arce getrennt zu den Wahlen 2025 antreten, besteht die Gefahr, dass sie den Stimmenanteil der MAS spalten“, sagte García Linera und brachte einen Kompromissvorschlag ins Spiel: Parlamentspräsident Andrónico Rodríguez, 35, repräsentiere einen Generationswechsel. Morales betrachtete diesen Kompromissvorschlag wiederum als Verrat und erklärte seinen langjährigen Weggefährten García Linera zum Feind.