Vier Tage, nachdem die Kämpfe in Karthum begonnen hatten, wachte Noon Abdel Bassit morgens von einem Knall auf. Eine Rakete hatte das Haus der Familie getroffen, unweit des Hauptquartiers der sudanesischen Armee. „Überall war Qualm, überall waren Glasscherben“, sagt Noon, 22 Jahre alt, Medizinstudentin, und zeigt Videos auf ihrem Handy. „Das war der Moment, in dem wir wussten: Wir können hier nicht bleiben.“
Die Familie packte Kleidung, Laptops, Geld und Dokumente zusammen, organisierte Plätze in einem Bus, wagte den riskanten Weg raus aus der umkämpften Stadt. „Wir haben viel von unserem Ersparten auf der Flucht gelassen“, sagt Noon. „Aber wir haben es geschafft.“ Nach zwei Tagen unterwegs – in Bussen, am Grenzübergang, auf dem Bahnsteig, im Zug – kamen Noon und ihre Verwandten in Kairo an.
Rund 100.000 Menschen sind nach offiziellen Angaben seit Beginn des Konflikts im Sudanüber die Grenze nach Ägypten gekommen, die allermeisten davon Sudanesen. Und es dürften mehr werden, die Vereinten Nationen rechnen mit rund 350.000 Schutzsuchenden in den kommenden Monaten. An den Grenzübergängen herrschen Berichten zufolge indes teils chaotische Zustände, Menschen warten dort oft tagelang, auf sudanesischer Seite gibt es nicht ausreichend Wasser oder Lebensmittel. Hinzu kommt, dass nur Frauen, Kinder und Ältere mit gültigem Reisepass über die Grenze gelassen werden. Männer zwischen 18 und 50 Jahren müssen erst ein Visum für Ägypten beantragen.
Sudanesen haben in Ägypten keine Arbeitserlaubnis
„Wir gehören zu den Glücklichen paar Prozent, die es sich leisten konnten, zu fliehen“, sagt Noon Abdel Bassit und dass sie deshalb ein schlechtes Gewissen habe. Sie sitzt in einem hippen Kairoer Café, trägt ein enges, schwarzes Oberteil, die langen Haare offen. „Ich weiß von Bekannten inKarthum, die nur noch Reis essen, weil sie sich keine Lebensmittel besorgen können. Und von Leuten, die sterben, weil sie nicht an Medikamente kommen“, erzählt Noon. In Kairo hat sich ihre Familie alles selbst organisiert, übers Internet eine Wohnung gesucht und die Miete bezahlt. „Wer das nicht kann, ist hier verloren. Es gibt keine Unterstützung vom Staat.“
Alte Vereinbarungen gewähren Sudanesen in Ägypten zunächst eine Aufenthaltserlaubnis über ein halbes Jahr. Um legal arbeiten zu können, braucht es eine separate Genehmigung. Jene, die in den ersten Wochen aus dem Sudan nach Ägypten gekommen seien, kämen selbst gut zurecht, sagt Nour Khalil von der Flüchtlings-Organisation Refugees Plattform Egypt. „Aber wir werden noch Probleme bekommen, weil viele Leute aus dem Sudan weniger Geld und keine Reisepässe haben – und trotzdem versuchen werden, hierherzufliehen. Sie haben ja kaum eine Wahl.“ Irregulär über die Grenze zu kommen sei aber gefährlich, sagt Khalil, man habe in den vergangenen Jahren viele Verhaftungen und Deportationen registriert.
Was es brauche, sei eine Asylstelle des UN-Flüchtlingshilfswerks direkt an der Grenze, nicht nur in Kairo, findet Khalil. Auch Unterstützung von der ägyptischen Regierung und von internationalen Organisationen für die Unterbringung und Integration von Geflüchteten im Arbeitsmarkt sei wichtig. „Die Menschen, die kommen, kommen mit Ausbildung, mit Arbeitserfahrung. Es gibt hier aber kein System, das ihnen erlaubt, das einzubringen“, meint Khalil.
Ägypten steckt in einer Wirtschafts- und Finanzkrise
Tatsächlich scheint unklar, wie das Land mit den Flüchtenden umgehen will. In Kairo wächst die Sorge vor den Auswirkungen steigender Flüchtlingszahlen – denn Ägypten steckt in einer Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Preise für Lebensmittel haben sich im vergangenen Jahr verdreifacht, die Staatsverschuldung liegt auf einem Rekordhoch. Die Unzufriedenheit in Ägypten sei sehr groß, heißt es etwa in Diplomatenkreisen – die Sudan-Krise und ihre Auswirkungen kämen nun noch obendrauf. „Wenn wir noch mehr Sudanesen aufnehmen, wird Ägypten den Effekt spüren“, sagte Staatspräsident al-Sisi kürzlich in einer Pressekonferenz.
„Die sudanesische Gemeinschaft – insbesondere in Kairo– ist momentan eine wichtige Anlaufstelle“, schreibt Richard Probst, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kairo, im Journal für Internationale Politik und Gesellschaft. Schon vor Ausbruch des Konflikts hätten sich geschätzt fünf Millionen Sudanesinnen und Sudanesen in Ägypten aufgehalten, teils seit Jahrzehnten. Sie würden nun eine zentrale Rolle für die Aufnahme der Geflüchteten spielen. Langfristig allerdings werde das nicht zu leisten sein, so Probst: „Je länger der Konflikt andauert, desto wichtiger wird es sein, Ägypten und denjenigen UN-Organisationen, die in Ägypten tätig sind, bei der Unterstützung der Geflüchteten zur Seite zu stehen.“
An ein baldiges Ende der Kämpfe im Sudan glaubt derzeit kaum jemand. „Hemeti und Burhan haben wegen ihrer Machtbesessenheit ein ganzes Land in eine Tragödie gezogen“, sagt Noon Abdel Bassit. Die Hoffnung auf Demokratie, die viele hatten, sei dahin. Auch, wie es für sie selbst weitergeht, weiß sie nicht. Sie hat keinen Nachweis darüber, dass sie fast am Ende ihres Medizinstudiums steht. „Ich hoffe, dass ich hier trotzdem zu Ende studieren kann“, sagt sie – um irgendwann als Ärztin zurück in die Heimat zu gehen.