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Berlin
Jeder vierte Viertklässler hat Probleme beim Lesen
Die internationale Iglu-Studie sieht Deutschland beim Lesen nur im Mittelfeld. Auch an der Chancengerechtigkeit in den Grundschulen hapert es.
Jeder vierte Viertklässler kann nicht richtig lesen.jpeg       -  Jeder vierte Viertklässler in Deutschland kann nicht richtig lesen. Das geht aus der internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu) hervor.
Foto: Sebastian Gollnow, dpa (Symbolbild) | Jeder vierte Viertklässler in Deutschland kann nicht richtig lesen. Das geht aus der internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu) hervor.
Bernhard Junginger
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:58 Uhr

Jeder vierte Viertklässler in Deutschland kann nicht richtig lesen. Das ist der dramatische Befund von Iglu, der aktuellen internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung. Rund 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler dieser Altersstufe erreichen demnach nicht das Mindestmaß an Textverständnis, das sie für ihre weitere Schulzeit eigentlich dringen bräuchten. Sie schneiden damit deutlich schlechter ab als ihre Altersgenossen in vielen anderen Ländern. 

Laut Studienleiterin Nele McElvany von der Technischen Universität Dortmund ist der Anteil der Kinder mit großen Leseschwierigkeiten inzwischen „alarmierend hoch“. Sofern die betroffenen Schüler die Defizite nicht aufholen könnten, würden sie in ihrer Schullaufbahn „erhebliche Schwierigkeiten in fast allen Schulfächern haben“. 

4600 Schüler haben an der Iglu-Studie teilgenommen

Seit 2001 beleuchtet die internationale Iglu-Studie im fünfjährigen Rhythmus die Lesekompetenz in unterschiedlichen Ländern. Für die jüngste Auflage wurden im Jahr 2021 rund 4600 Schüler aus 252 vierten Klassen in ganz Deutschland einem Test unterzogen. Es galt, auf der Grundlage von Sach- und Erzähltexten zugehörige Verständnisaufgaben zu lösen – erstmals nicht auf Papier, sondern an Laptops. International beteiligten sich etwa 400.000 Schüler aus 65 Staaten und Regionen an der Studie. 

Spitzenreiter in Sachen Lesekompetenz sind demnach Singapur, Hongkong, Russland, England, Finnland und Polen. Schlusslicht bei der Studie ist Südafrika. Deutschland landet nur im Mittelfeld, mit Werten, die etwa dem Durchschnitt der Europäischen Union entsprechen. Im Vergleich zur Iglu-Studie 2016 hat sich die Bundesrepublik noch einmal deutlich verschlechtert. Die Studienautoren stellen der deutschen Bildungspolitik ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: Die von der Kultusministerkonferenz schon vor mehr als 20 Jahren im Zuge des sogenannten Pisa-Schocks formulierten Ziele für die Reform der Bildung seien an vielen Stellen verfehlt worden.

Kein Fortschritt bei der Chancengerechtigkeit im Bildungssystem

„Praktisch nichts verändert“, so die Wissenschaftler, habe sich etwa bei der Chancengerechtigkeit. Kinder aus privilegierten Elternhäusern hätten weiterhin deutlich größere Chancen auf Bildungserfolg als andere Kinder. Schüler, die zu Hause überwiegend deutsch sprechen, haben der Studie zufolge deutliche Vorteile gegenüber Schülern, bei denen zu Hause nur manchmal oder nie deutsch gesprochen wird.

Doch die Entwicklung lasse sich nicht allein auf die Veränderung der Zusammensetzung der Schülerschaft zurückführen. Die Studienautoren nehmen an, dass auch die Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen bis hin zu Schulschließungen negative Auswirkungen auf die Lesefähigkeit hatte. 

Laut der Studie wird in deutschen Grundschulklassen mit 141 Minuten pro Woche fast eine Stunde weniger gelesen als im internationalen Durchschnitt. Eine spezielle Förderung von Lesestrategien erfolge wenig, die verwendete Klassenlektüre sei oft veraltet. Zudem sei die Ausstattung mit digitalen Medien für den Leseunterricht im Vergleich niedrig.

Bundesbildungsministerin fordert Trendwende

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger nannte die Studienergebnisse „alarmierend“. Denn gut lesen zu können, sei eine der wichtigsten Grundkompetenzen für den Bildungserfolg, sagte die FDP-Politikerin.

Iglu zeige, „dass wir dringend eine bildungspolitische Trendwende benötigen“. Stark-Watzinger verwies auf das von der Bundesregierung geplante Startchancen-Programm, über das 4000 Schulen mit besonders hohem Anteil sozial benachteiligter Kinder besonders gefördert werden sollen. Das Programm, für das in den kommenden zehn Jahren jeweils eine Milliarde Euro bereitstehen soll, wird derzeit mit den Ländern abgestimmt.

Aus der Union kommt im Kontext der Studie heftige Kritik an Stark-Watzinger. Fraktionsvize Nadine Schön (CDU) warf ihr vor, die Länder „in den vergangenen Monaten mit einem verpatzten Bildungsgipfel und halb garen Ankündigungen für Programme, deren Finanzierung und Konzeption sie noch nicht mal in der eigenen Bundesregierung abgestimmt hat“, irritiert zu haben. Was die Startchancen von Kindern in Deutschland oder eine Steigerung der Grundkompetenzen wie Lesen, Rechnen, Schreiben und digitale Kompetenzen betreffe, seien weder in diesem noch im kommenden Jahr „große Sprünge zu erwarten“.

 
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