Dreieinhalb Monate wurde hart verhandelt: Um Einfluss, um Geld und um eine Generalamnestie, mit der alle Strafverfahren gegen katalanische Separatisten beendet werden soll. Nun, in der Nacht zum Donnerstag, wurde dem Vernehmen nach ein Durchbruch erzielt, der Spaniens bisherigem sozialdemokratischem Regierungschef Pedro Sánchez und seiner Mitte-links-Koalition eine zweite Amtszeit sichert. Einzelheiten des Paktes sollen in Kürze mitgeteilt werden. Die konservative Opposition, die schon von einem Machtwechsel geträumt hatte, schäumt.
Die entscheidende Unterstützung für Sánchez kommt dabei ausgerechnet von Separatistenchef Carles Puigdemont – jenem Mann, der in den letzten Jahren als Staatsfeind von der spanischen Justiz gejagt wurde und sich ins Ausland absetzte. Nachdem Spaniens Parlamentswahl im Juli mit einem Patt zwischen dem progressiven und dem konservativen Lager ausgegangen war, fiel Puigdemonts kleiner katalanischer Unabhängigkeitspartei im spanischen Parlament die Rolle des Königsmachers zu.
Regierungsbildung in Spanien: Puigdemont setzt Generalamnestie durch
Schon in den nächsten Tagen will sich der 51 Jahre alte Sánchez vom Parlament als Premier bestätigen lassen. Nach einem Verhandlungsmarathon schaffte er es, eine knappe Mehrheit der Abgeordneten hinter sich zu vereinen. Wie schon in den vergangenen Jahre strebt er eine Minderheitsregierung an, die aus seiner sozialdemokratisch orientierten Sozialistischen Arbeiterpartei und dem linken Juniorpartner Sumar (Summieren) besteht und von katalanischen sowie baskischen Regionalparteien gestützt wird.
Vor allem Ex-Katalonien-Präsident Carles Puigdemont (60), der nach seinem illegalen Unabhängigkeitsreferendum in 2017 nach Brüssel floh, trieb den Preis für seine Stimmen extrem hoch. Er setzte bei Sánchez „die völlige Abkehr von der Verfolgung der Unabhängigkeitsbewegung“ durch. In anderen Worten: eine Generalamnestie, von der er persönlich profitieren wird. Aber auch Hunderte weitere separatistische Aktivisten, gegen die wegen der unerlaubten Abspaltungsabstimmung noch ermittelt wird, können damit aufatmen.
„Die Amnestie ist illegal, unmoralisch und antidemokratisch“, poltert der konservative Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo. „Der Rechtsstaat ist in Gefahr.“ Für den 62-jährigen Feijóo ist Sánchez' erwartete Wiederwahl ein persönliches Scheitern. Der Vorsitzende der Volkspartei hatte selbst versucht, eine Regierung zu bilden – zusammen mit der rechtsnationalen Partei Vox. Feijóo bekam jedoch im Parlament keine Mehrheit, weil sich die nach mehr Autonomie strebenden Basken und Katalanen weigerten, eine konservativ-nationalistische Regierung zu stützen.
Sánchez steht schwierige neue Amtszeit bevor
Für Sánchez dürfte die neue Amtszeit allerdings alles andere als einfach werden. Auch weil die zugesagte Generalamnestie für Puigdemont und seine Gefolgsleute nicht nur die konservative Opposition auf die Barrikaden bringt, sondern auch in Sánchez' eigener sozialdemokratischer Partei umstritten ist: Umfragen zufolge hätte es rund ein Drittel der Sánchez-Wähler bevorzugt, in dieser kniffligen politischen Situation Neuwahlen anzusetzen. Statt mit Puigdemont jenen Mann straffrei ausgehen zu lassen, der Spanien mit einer rechtswidrigen Unabhängigkeitserklärung in eine der größten Krisen der Demokratie stürzte.
Sánchez selbst hatte in seiner Wahlkampagne eine Amnestie noch ausgeschlossen. Doch dann vollzog er, wohl auch weil er die parlamentarische Unterstützung der Separatisten brauchte, eine Kehrtwende. Die Amnestie ist allerdings nicht das erste Zugeständnis an Katalonien: 2021 hatte Sánchez bereits neun in Haft sitzende Separatistenführer begnadigt. Seit Amtsantritt in 2018 versucht Sánchez, in Katalonien mit politischen Gesten „Wunden zu schließen“ und Spannungen abzubauen. Offenbar mit Erfolg: Nach Umfragen nimmt die Zahl der Unabhängigkeitsbefürworter in dieser eigenwilligen Region ab.
Puigdemont könnte vorerst in seine katalanische Heimat zurückkehren
Eine andere Sache ist, ob eine Generalamnestie für Straftaten, die im Zuge der katalanischen Unabhängigkeitsaktivitäten begangenen wurden, rechtlich überhaupt möglich und durch die Verfassung gedeckt ist. Darüber streiten sich derzeit noch die Juristen beider politischer Lager. Diese Frage wird Spaniens Verfassungsgericht, das die konservative Opposition umgehend anrufen will, beantworten müssen. Doch eine höchstrichterliche Entscheidung kann Jahre auf sich warten lassen.
Carles Puigdemont, gegen den in Spanien wegen Ungehorsams und Veruntreuung öffentlicher Gelder für die Finanzierung illegaler Aktivitäten ermittelt wird, kann sich also bald wieder als freier Mann fühlen. Nach Inkrafttreten der Amnestie muss er nicht mehr in Spanien mit seiner Festnahme rechnen. Und er kann somit aus seinem Brüsseler Zufluchtsort, in dem er derzeit als Europaabgeordneter für seine Partei aktiv ist, wieder in seine katalanische Heimat zurückkehren.