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Berlin
Kann man mit Ludwig Erhard Deutschland aus der Behäbigkeit holen?
Die soziale Marktwirtschaft gibt es seit 75 Jahren. Der Chef des Ludwig-Erhard-Forums fordert nun eine Rückbesinnung: Gerade jetzt, da die Ampelkoalition am Scheideweg steht.
Bundespräsident besucht Ludwig-Erhard-Zentrum.jpeg       -  Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard gilt als einer der Urheber des Wirtschaftswunders.
Foto: Daniel Karmann, dpa | Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard gilt als einer der Urheber des Wirtschaftswunders.
Christian Grimm
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:34 Uhr

Deutschland hat bessere Tage gesehen. Die Wirtschaft stagniert, die Prognosen sind blutarm, die Regierung steht vor den Trümmern ihrer Finanzpolitik. Der Staat ist einerseits träge, erlässt andererseits aber immer mehr Vorschriften. „Das Preis-Leistungs-Verhältnis des Staates ist schlecht“, sagt Stefan Kolev, Chef des Ludwig-Erhard-Forums und Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Zwickau. „Es hört sich womöglich seltsam an, aber wir leben in einem einmaligen Moment für die soziale Marktwirtschaft.“

Die soziale Marktwirtschaft ist dieses Jahr 75 Jahre alt geworden. Als Geburtsstunde gilt die von Erhard erlassene Währungsreform vom 20. Juni 1948. Die D-Mark löste die Reichsmark ab, die Geschäfte waren über Nacht voll und Deutschland setzte zum Wirtschaftswunder an, das der Dicke mit der Zigarre wie kein Zweiter verkörpert. 

Ampel in der Krise: Mehr Freiheit, weniger Staat?

Nach Aufbruch und stürmischem Wachstum sieht es derzeit nicht aus. Kolev ist davon überzeugt, dass das an einer falschen Balance liegt. An zu viel Staat und zu wenig Markt, also unternehmerischer Freiheit. Oder wie er es ausdrückt: an zu viel Statik und zu wenig Dynamik. Der Ökonom möchte den Staat zurückdrängen. „Durch das Urteil des Verfassungsgerichts zu den Staatsfinanzen hat sich ein Fenster aufgetan, um grundsätzlich darüber zu diskutieren, welchen Staat wir haben wollen“, sagt der 42-Jährige. Wenn die Ampelkoalition nicht bloß als Verwalter der Regierungsgeschäfte eingehen will, so sieht er es, muss sie sich selbst beschränken und Bürgern und Unternehmen mehr zutrauen. So wie es Erhard tat, als er 1948 die Preise freigab.

Kolev stammt aus dem Ostblock, aus der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Er kam Ende der 90er-Jahre nach Deutschland. Es hat viel mit seiner Herkunft aus einer diktatorischen Planwirtschaft zu tun, dass die Freiheit in seinem Weltbild die zentrale Rolle einnimmt. Kolev ist FDP-Mitglied. Zum Jubiläum der sozialen Marktwirtschaft hat er mit seinem Ökonomenkollegen Nils Goldschmidt ein schmales Buch (Verlag Herder) geschrieben, in dem sie der Geschichte und den geistigen Ursprüngen des deutschen Erfolgsmodells nachspüren. Der leidenschaftliche Fußballfan Ludwig Erhard definierte seinerzeit die Rolle des Staates folgendermaßen: „Da bin ich der Meinung, dass, ebenso wie der Schiedsrichter nicht mitspielen darf, auch der Staat nicht mitzuspielen hat.“ 

Robert Habeck scheitert mit seiner Philosophie

Der amtierende Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verfolgt eine andere Philosophie. Er bezuschusst die Ansiedlung von Chipfabriken mit Milliardenbeträgen, bezahlt Stahlwerken den Einbau klimafreundlicher Hochöfen und subventioniert eine Wasserstoffwirtschaft herbei. Es ist der unternehmerische Staat, der hier tätig wird und kräftig mitmischt. Das jüngste Urteil der höchsten deutschen Richter zu Schuldenbremse und Staatsausgaben hat den Ansatz infrage gestellt. Habeck fehlt Geld. „Wir sollten innehalten und uns fragen, warum vertrauen wir den Privaten nicht?“, meint Kolev.

Er hält eine Selbstbescheidung des Staates schon wegen des fehlenden Personals für unverzichtbar. Dass Familienministerin Lisa Paus (Grüne) mit der Kindergrundsicherung eine neue Sozialleistung einführen und dafür zunächst eine Behörde mit 5000 Leuten schaffen will, ist für ihn symptomatisch für den Zustand Deutschlands. Die Zeitreise durch die Geschichte der Marktwirtschaft zeigt aber auch, dass das Verhältnis zwischen Staat und Markt immer historischen Wellenbewegungen unterliegt. 

Kann man Wahlen gewinnen mit Ludwig Erhard?

In den 70er-Jahren etwa versuchte SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller die Globalsteuerung der Wirtschaft, die dann mit dem Regierungswechsel und der Kanzlerschaft Helmut Kohls endete. Der Kanzler der Einheit interessierte sich wenig für das Ökonomische. Von ihm ist der Ausspruch überliefert, dass er lieber Wahlen gewinnen wolle als den Ludwig-Erhard-Preis. „Heute könnte man mit dem Ludwig-Erhard-Preis Wahlen gewinnen“, sagt Stefan Kolev. In seiner Interpretation ist die Stärkung der Schuldenbremse durch das Verfassungsgericht der Garant dafür, aus der behördlichen Behäbigkeit auszusteigen. „In den vergangenen Jahren haben wir Milliarden auf Probleme geworfen mit teilweise sehr überschaubaren Effekten.“

Erhard jedenfalls wollte den steilen Aufschwung nach dem Krieg nicht als Wunder begreifen, sondern als direkte Folge der wirtschaftlichen Freiheit, die den Westdeutschen zurückgegeben wurde. Doch auch ihm gelang nicht alles. Nachdem im Sommer 1948 die D-Mark eingeführt worden war, stiegen die Preise für Eier, worüber die Leute klagten und schimpften. Gewisse Dinge ändern sich nicht.

 
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