Es ist eine Weile her, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen warmen Beifall bekommen hat. Die Heidelberger jedenfalls, die zum Bürgerdialog mit ihm geströmt sind, kann er an diesem Abend für sich einnehmen – mit dieser typischen Habeck-Rezeptur. Es ist eine Mischung aus Alltagssprache, verschmitztem Lächeln und tiefer gehenden Gedanken, mit der er die 400 Leute gewinnt. Der Minister plaudert auch ein bisschen aus dem Alltag. Dass er nach Terminen im ganzen Land gerne noch einmal durch die Städte streift und sich mit Sonnenbrille und Kappe tarnt. „Ich sah wie ein amerikanischer Basketballspieler oder Gangster aus“, erzählt er. Die Moderatorin des Bürgerdialogs kommentiert: von der Größe her wohl eher wie ein Gangster. Der Saal lacht. So ist das auf HabecksSommerreise.
Wirtschaftsminister Habeck und Arbeitsminister Heil auf Sommereise
Orts- und Ministerwechsel: Hubertus Heil hat die Augen unter der Schutzbrille zusammengekniffen, konzentriert führt er das Schweißgerät und zieht eine Naht. Der Bundesarbeitsminister strengt sich an, will sich nicht blamieren vor den Auszubildenden, die ihm interessiert zusehen – auch wenn er an keinem echten Apparat arbeitet, sondern an einem digitalen Simulator, der sogar das typische Brutzel-Geräusch imitiert. Ob der SPD-Politiker im weißen Hemd das wohl kann? Die Antwort: Eine perfekte Schweißverbindung schafft er auf Anhieb nicht, aber doch ein gut 80-prozentiges Ergebnis, in der Praxis würde das wohl halten. „Nicht schlecht“, nicken die Azubis. So ist das auf Heils Sommerreise.
Die hat ihn an diesem Tag zum Chemie-Riesen Evonik ins nordrhein-westfälische Marl geführt. Und natürlich ist er nicht zufällig ins alte industrielle Herz der Nation, das Ruhrgebiet, gekommen. Denn um Umbruch und Wandel soll es gehen, um etwas, womit sich die Menschen im Revier auskennen. Nach dem Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie war es bergab gegangen, hohe Arbeitslosigkeit und soziale Probleme prägen manche einst stolze Zechen- oder Hochofen-Standorte bis heute. Doch an vielen Stellen ist auch Neues entstanden. Das hat einen gewissen Symbolwert für Heil.
Hubertus Heil: "Es ändert sich in verdammt kurzer Zeit verdammt viel"
Die deutsche Arbeitswelt steht vor gewaltigen Herausforderungen und Risiken. Viele Menschen fürchten, dass hohe Energiepreise und die Abkehr vom Verbrennungsmotor die Zukunft der heimischen Industrie gefährden. „Es ändert sich in verdammt kurzer Zeit verdammt viel“, sagt der Minister. Er meint damit nicht nur die Risiken, sondern auch die Chancen. Irgendwie gilt das auch für die Ampelkoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Die war als selbst ernannte „Fortschrittskoalition“ gestartet, dann aber machten eher die Querelen untereinander Fortschritte – und Schlagzeilen.
Gerade hinter Wirtschaftsminister Robert Habeck liegen schlimme Monate. Das Heizungsgesetz geriet zu einem Fiasko, in der Öffentlichkeit wurde er heftig kritisiert, und Koalitionspartner FDP trieb ihn vor sich her und entkernte schließlich das wichtige Projekt der Grünen. Verloren haben wegen des harten Streits über das Gesetz alle drei Ampelpartner. Wäre nächsten Sonntag Bundestagswahl, würde das Bündnis abgewählt. „Eine Regierung, die sich öffentlich so streitet wie die Kesselflicker, ist nicht gut“, räumt Habeck beim Bürgerdialog in Heidelberg ein. „Das ist nicht gut für Deutschland, das ist nicht gut für die Parteien.“ Die einzige Partei, die von den Ränken profitiert, ist die AfD. Habeck setzt nun darauf, dass der Sommer Entspannung bringen wird.
Die Ampelkoalition geht wie ein angeschlagener Boxer in die Rundenpause, hoffend, dass die Kraft noch mal zurückkehrt. Man erinnert sich: Damals, in den ersten Wochen, regierten Großmut und Gönnenkönnen. Dies ist auch der Geist, den Habeck im Kopf hat. Um die Ampelkoalition aus dem Tief zu bringen, will er ein simples und zugleich schwieriges Konzept versuchen. Es lässt sich mit dem Satz zusammenfassen, die Logik der Aufmerksamkeitsökonomie zu durchbrechen, nach der das Negative stets stärker wirkt als das Positive. Konkret übersetzt heißt das in seinen Worten, dass die Ampel aufhören muss, sich gegenseitig Doofheit vorzuwerfen und damit Schlagzeilen zu produzieren. „Dazu sind wir jetzt verdammt und ich will versuchen, dass das auch gelingt“, verspricht der 53-Jährige den Bürgerinnen und Bürgern. Das heißt aber auch, dass die FDP aufhören muss, jedes entscheidende Projekt der Grünen zu torpedieren.
Managerin: Die Politik dürfe die Firmen nicht überfordern
Wie hatte Habecks SPD-Kollege Heil in Marl noch gesagt? Genau: „Es ändert sich in verdammt kurzer Zeit verdammt viel.“ Risiken und Chancen. Einerseits, andererseits. Jede Entwicklung hat zwei Seiten. Das weiß hier, im Evonik-Werk, auch Personalvorstand Thomas Wessel. Besonders die Chemie-Industrie sei vom klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft betroffen, sagt er. Einerseits als großer Profiteur: In den Rotorblättern von neun von zehn weltweit gebauten Windkraftanlagen etwa sorgen die in Marl hergestellten Chemikalien für die nötige Festigkeit. Hoch entwickelte Schmierstoffe halten die Getriebe am Laufen. In der Entwicklungsabteilung wird am 3D-Druck gearbeitet, durch den auch Bauteile für Anlagen zur alternativen Energieerzeugung entstehen. Lehrlinge zeigen, wie aus Kunststoffbröseln Werkstücke entstehen, eine Zukunftstechnologie, in die Evonik große Hoffnungen setzt.
Andererseits, so Manager Wessel, sei der Erfolg der chemischen Industrie, an dem allein in Marl und Umgebung rund 30.000 Arbeitsplätze hängen, in Gefahr. Für Kunststoffe sei Erdöl als Ausgangsmaterial noch unverzichtbar. Und die energieintensiven Prozesse brauchen im Moment viel Strom, der zu einem großen Teil noch nicht grün erzeugt ist – oder Erdgas, dessen Beschaffung durch den Ukraine-Krieg schwieriger und teurer geworden ist. „Wir brauchen dringend einen Industriestrompreis“, appelliert der Evonik-Mann an Heil. Er wünscht sich von der Politik: „Mehr Zeit.“ Die Politik dürfe die Firmen mit Forderungen nach Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit nicht überfordern, sonst sei im weltweiten Wettbewerb die Konkurrenzfähigkeit in Gefahr.
Hubertus Heil holt in seiner Antwort ein wenig aus, erinnert an die 1990er und frühen 2000er Jahre, als manche Ökonomen nicht mehr allzu sehr auf Deutschland als Industriestandort gesetzt hätten. „Viele rieten damals, voll auf den Dienstleistungssektor zu setzen. Wir haben uns entschieden, Industrieland zu bleiben und das war richtig so“, sagt er. Und das gelte auch für die Zukunft.
Habeck in Heidelberg: Ein recht dankbares Publikum
Während Heil so einiges und vor allem nicht Unkompliziertes erklären muss, hat Habeck in Heidelberg ein recht dankbares Publikum. Die alte Uni-Stadt am Neckar ist eine grüne Hochburg. Wenn es zum Beispiel gegen die Liberalen geht, wird spontan geklatscht. Die kritischste Frage stellt ein Rentner, der vom zuständigen Minister wissen möchte, wieso die Bearbeitung seines Förderantrages für neue Fenster Monate dauert und er in der Behörde niemanden erreichen kann. Auch die Frage nach der Stärke der AfD, die gleichzeitig die Schwäche von SPD, Grünen und FDP ist, kommt. Robert Habeck kann bei diesem Thema einer Erklärung der Soziologen Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger viel abgewinnen. Demnach suchen die Wählerinnen und Wähler der Rechtspopulisten nicht etwa den starken Führer, sondern wollen vom Staat in Ruhe gelassen werden, weil sie seine Agenda nervt: die Corona-Masken, die Impfungen, der Kampf gegen den Klimawandel mit der Abkehr vom Auto mit Benzin und Diesel.
Der schallende Ruf dagegen lautet: Freiheit. Es ist allerdings ein Freiheitsverständnis wie aus der Frühzeit der USA, des Wilden Westens. „Wir schießen selbst, wir brauchen keine Polizisten“, erklärt es Habeck nun bewusst überspitzt. Für die Grünen ist diese Debatte nicht leicht, weil sie einst als Partei in Abgrenzung zu den etablierten staatlichen Institutionen gegründet wurde. Die individuelle Freiheit „ist ein starker Gedanke“, sagt Habeck also. Wie genau er diejenigen mit Wild-West-Freiheitsverständnis ins Lager der gemäßigten Freiheitsfreunde zurückholen will, weiß er noch nicht. Er müsse noch etwas darauf rumkauen, meint er.
Auf dem Weg zum nächsten Firmenbesuch legt Hubertus Heil in Nordrhein-Westfalen jetzt eine Pause am Ufer der Emscher ein. Es ist nicht lange her, da galt das Flüsschen als Kloake des Ruhrgebiets. Menschen aus der Gegend erinnern sich, dass der Gestank schon aus weiter Entfernung zu riechen war. Jahrzehntelang wurden ungeklärte Industrieabwässer eingeleitet, bis eine Genossenschaft, finanziert aus Abwassergebühren, begann, gegenzusteuern. 1700 Menschen arbeiten in dem Projekt, darunter Spezialisten für Gewässertechnik. Das Berufsfeld könnte angesichts des Klimawandels immer wichtiger werden. Mit der gewaltigen Summe von fünf Milliarden Euro wurde das ganze Gewässersystem sauber gemacht.
Das geschah gar nicht so sehr aus dem Umweltschutzgedanken heraus, wie die Verantwortlichen berichten: Über das ungeklärte Flusswasser hätten sich Typhus, Ruhr und Cholera übertragen und damit regelmäßig für Arbeitsausfälle in der Industrie gesorgt. Heute ist das Emscher-Ufer ein grünes Biotop, zwischen Rohrkolben und Binsen schnattern Wildgänse. Auf gut ausgebauten Radwegen fahren Rentner auf E-Bikes spazieren. Heils Ministerkollegen Habeck würde es gefallen.
Eine Gesellschafterin erklärt: Ihrem Unternehmen sei letztlich gar nichts anderes übrig geblieben, als sich auf seine Stärke zu besinnen
Bremsen übrigens könnten die Elektrofahrräder bald mithilfe von Spitzentechnologie aus dem nahen Städtchen Wetter. Dort befindet sich die Traditionsfirma Bleistahl, die ihr Geschäft, zumindest im Moment noch, mit Teilen für Verbrennungsmotoren macht. Sogenannte Ventilsitzringe, die bereits im VW Käfer dafür sorgten, dass der Motor zuverlässig und verschleißarm funktioniert, sind die Spezialität. In rund 70 Prozent der deutschen Produktion von Verbrennungsmotoren sind Bleistahl-Erzeugnisse verbaut, weltweit beträgt der Anteil 25 Prozent.
Doch das Erfolgsmodell der in vierter Generation inhabergeführten Firma ist bedroht. Die Energie- und Rohstoffkrise infolge des Ukraine-Kriegs, Lieferkettenstörungen in der Corona-Pandemie und schwindende Absätze im Verbrenner-Bereich haben der Firma zugesetzt, ein Zweigwerk in Gelsenkirchen musste geschlossen werden. Marie Luise Scheck, eine der Gesellschafterinnen, erzählt, dem Familienunternehmen sei letztlich gar nichts anderes übrig geblieben, als sich auf seine Stärke zu besinnen: den einzigartigen Schatz an Wissen und Erfahrung im Bereich der Metallwerkstoffe. Mit hoch leitenden Materialien, die in modernster Energietechnik zum Einsatz kommen, sei ein neues Geschäftsfeld erschlossen worden. Und die Spezialität des Hauses, der Stahl, soll eben künftig im boomenden E-Bike-Segment eingesetzt werden. Bremsbeläge für die Scheibenbremsen der Räder sind haltbarer als vergleichbare Produkte der Konkurrenten aus Asien, die bislang dominieren. Die Tests sind vielversprechend verlaufen, bald ist die Markteinführung geplant.
Wenn er mal umschulen wolle, könne er hier anfangen, ruft ein Chef dem Minister zu
Wo auch immer Heil hinkommt, die Sorgen und Nöte von Chefetage und Belegschaft ähneln sich: Fachkräftemangel, hohe Energiekosten, Lieferkettenengpässe. Auf seiner Sommerreise erhält er einen plastischen Eindruck davon. Und das ist auch Sinn und Zweck so einer Reise. Auch für Habeck, der rauswill aus seinem Ministerium in Berlin, raus ins richtige Leben. Dort, im richtigen Leben, sagt Arbeitsminister Heil dann Sätze wie: „Sicherheit vor dem Wandel gibt es nicht.“ Und lässt dem ein Aber folgen: Die Politik müsse sich für Sicherheit im Wandel einsetzen. Wirtschaftsminister Habeck hört an den Stationen seiner Reise aufmerksam zu, stellt kluge Fragen, macht aber keine unrealistischen Versprechen. In Stuttgart, im Elektrikerbetrieb Bürkle und Schöck, ruft ihm einer der Chefs, Thomas Bürkle, zu: Wenn er mal umschulen wolle, könne er hier anfangen. Das Unternehmen installiert unter anderem Wärmepumpen und Solaranlagen. Es wäre zumindest eine Abwechslung vom Dauerstreit der Ampelkoalitionäre.