
Beleidigungen, Bedrohungen, tätliche Angriffe: Jedes zweite ehrenamtliche Feuerwehrmitglied ist bei Einsätzen bereits zum Ziel von Gewalt geworden. „Die Zahl erlebter Gewaltvorfälle gegen Einsatzkräfte ist zu hoch – und mittlerweile trauriger Alltag“, warnte der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), Karl-Heinz Banse, am Donnerstag in Berlin. Die Freiwilligen Feuerwehren im Land blicken vor diesem Hintergrund mit einiger Sorge auf die Feuerwerksarien zu Silvester, haben aber auch schon wenig fröhliche Weihnachten hinter sich: Bei ihren Hilfseinsätzen in den vom Hochwasser betroffenen Regionen wurden Feuerwehrleute beleidigt und in Debatten darüber verwickelt, welcher Keller denn nun zuerst ausgepumpt gehöre. Banse berichtete von gestohlenen Sandsäcken und Schaulustigen, die Einsätze behindern. „All das müssen wir im Augenblick erleben, und das ist nicht gut.“
Übergriffe auf Einsatzkräfte sind schon seit einiger Zeit Thema. Erstmals liegen für den Bereich der Freiwilligen Feuerwehren nun belastbare Zahlen vor. Der Feuerwehrverband und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) haben bundesweit im November und Dezember mehr als 6500 Feuerwehrleute zu ihren Erfahrungen in den letzten zwei Jahren befragt, das Ergebnis ist ebenso eindringlich wie in Teilen überraschend.
Gewalt gegen Polizei oder Sanitäter: Nüchterne Einzeltäter in der Mehrheit
„Anders als Medienberichte vermuten lassen – zum Beispiel zur Silvesternacht in Berlin und anderen Großstädten – zeigt sich, dass Gewaltvorfälle typischerweise kein Gruppenphänomen sind. Sie werden in der Mehrheit von Einzeltätern und -täterinnen begangen“, erklärte der Leiter des DFV-Fachausschusses Sozialwesen, Thomas Wittschurky, und ergänzte: „Ebenso überrascht, dass Alkoholkonsum nicht als bedeutsamer Auslöser von Gewalt zu werten ist.“
Die ethnische Zugehörigkeit der Täterinnen und Täter wurde nicht abgefragt, erklärte Wittschurky. Aus den Antworten habe sich aber nicht ableiten lassen, „dass es sich um eine ähnliche Verteilung handelt, wie das augenscheinlich in Neukölln oder in Berlin allgemein der Fall war“. DFV-Präsident Banse wies darauf hin, dass im kommenden Jahr die Lage bei den Berufsfeuerwehren explizit auch in den Großstädten abgefragt werde. „Da werden wir ein anderes Bild sehen.“ Nach den Silvester-Ausschreitungen in Berlin beim letzten Jahreswechsel, an denen sich angeblich überproportional viele Migranten beteiligten, war bundesweit eine heftige Debatte über die Integrationspolitik entbrannt.
In der Anonymität des Internets lasse sich „gut pöbeln“, nannte Wittschurky einen Grund für die sichtbare Zunahme der Gewalt gegen Einsatzkräfte. Banse bestätigte den Eindruck. Das Problem sei nicht neu, erklärte der Verbandschef. „Was neu ist, ist die Qualität und diese Menge an Gewalt“. Er habe durchaus den Eindruck, dass die Entwicklung durch die sozialen Medien noch verstärkt werde. „Es ist vielleicht schick, wenn man als junger Mensch postet, wie man mit einer Rakete auf ein Feuerwehrauto zielt“, erklärte Banse achselzuckend.
Mancher Täter gegen Einsatzkräfte kommt glimpflich davon
Der Umfrage zufolge haben es die Einsatzkräfte vor allem (90 Prozent) mit verbaler Gewalt in Form von Beschimpfungen und Beleidigungen zu tun. Zwei Drittel der Befragten mussten erleben, dass Bürgerinnen und Bürger Anordnungen nicht Folge leisteten, sich aktiv widersetzten oder unkooperativ waren. Mehr als einem Drittel der Betroffenen wurde angedroht, sie mit dem Auto anzufahren. Rund 14 Prozent der Befragten wurden, nicht nur zu Silvester, mit Feuerwerkskörpern beworfen. Was die Feuerwehrleute dabei sehr oft (89 Prozent) nachhaltig stresste, war die unvermutete Plötzlichkeit der Angriffe. Die Vorfälle wurden zwar oft innerhalb der Feuerwehr gemeldet, aber nur 38 Prozent zeigten sie bei der Gemeinde oder der Polizei an. Als Grund dafür nennt die Umfrage „mangelnde Erfolgsaussicht und Scheu vor zusätzlichen Belastungen“.
DGUV-Hauptgeschäftsführer Stefan Hussy rief die Bevölkerung vor diesem Hintergrund dazu auf, „Solidarität mit Einsatzkräften zu zeigen – nicht nur an Silvester“. Jeder Mensch habe ein Recht darauf, seiner Arbeit nachzugehen, ohne bedroht oder angegriffen zu werden. Bund, Länder und Kommunen seien aufgefordert, „alle Möglichkeiten zu prüfen, die Sicherheit und Gesundheit von Einsatzkräften zu gewährleisten und Täter zur Rechenschaft zu ziehen“.
Bundesweite Zahlen zu Übergriffen im zu Ende gehenden Jahr liegen noch nicht vor. Vom bayerischen Innenministerium hieß es bereits: „Es gibt aber wohl einen weiteren Anstieg der Fallzahlen beim Thema Gewalt gegen Einsatzkräfte.“ In Berlin ging die Polizei für 2023 zuletzt von etwa 15 Prozent mehr Angriffen auf Polizisten und 30 Prozent mehr auf Feuerwehrleute im Vergleich zum Vorjahr aus.
In der Hauptstadt blickt man zudem mit besonderer Sorge auf Silvester. "Es ist der größte Polizeieinsatz an Silvester der letzten Jahrzehnte", sagte Polizeipräsidentin Barbara Slowik. 2000 bis 2500 Polizisten aus Berlin, anderen Bundesländern und von der Bundespolizei sind zusätzlich auf den Straßen. Dazu kommen noch 500 Bundespolizisten auf S- und Fernbahnhöfen. In den Wachen und 220 Streifenwagen sind weitere 1000 Polizisten im Dienst. Zivilpolizisten sollen Tage vor Silvester die Lage in den Brennpunkten beobachten und Randalierer festnehmen. Die Feuerwehr wird in manchen Gegenden von Polizisten beschützt. Zusätzliche Staatsanwälte stehen bereit.