Mannshohe Pakete, eng verschnürt und mit Deutschlandfarben beklebt, warf ein Transportflugzeug der Bundeswehr am Samstag über dem Gazastreifen ab, vier Tonnen Hilfsgüter insgesamt. Die drohende Hungersnot, vor der Hilfsorganisationen warnen, werden die Pakete kaum stoppen, sie sollen wohl vor allem ein Zeichen setzen: Deutschland tut etwas gegen das Leid der Palästinenser.
So könnte auch das Motto der jüngsten Kanzlerreise lauten. Am Sonntag landete Olaf Scholz zunächst in Jordanien, wo er König Abdullah II traf. Anschließend reiste er nach Israel zu Gesprächen mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Staatspräsident Yitzhak Herzog.
Scholz zweite Reise seit dem Massaker der Hamas
Es ist Scholz’ zweite Reise nach Israel seit dem Terrorüberfall der Hamas vom 7. Oktober. Diplomatisch ist dieser Besuch für den Kanzler heikler als der erste, der ganz unter dem Schock der Gräueltaten stand. Nur zehn Tage nach dem Massaker war Scholz damals nach Israel geflogen, um dem traumatisierten Land Unterstützung auszusprechen. An der Seite Netanjahus stehend, beschwor er Israels Recht auf Selbstverteidigung. Die Bilder der Terroristen, die ganze Familien in ihren Schutzräumen verbrennen, waren zu jenem Zeitpunkt noch frisch; dem jüdischen Staat in einer seiner schwersten Stunden Solidarität auszusprechen, war das diplomatische Gebot der Stunde.
Seitdem sind fünf Monate vergangen, und die Stimmung hat sich gewandelt – nicht so sehr in Israel, wo noch immer eine breite Mehrheit den Krieg gegen die Hamas mitträgt, aber im Ausland, auch in Deutschland. Statt verbrannter Kibbuzhäuschen zeigen die Medien zerbombte Stadtviertel und hungrige Kinder in Gaza. Die Kritik an Israels Kriegsführung schwappt von den Straßen bis in die obersten Ränge der Politik. Selbst US-Präsident Joe Biden, unter wachsendem Wahlkampfdruck, findet seit Kurzem erstaunlich harte Worte für das verbündete Land.
Scholz fordert humanitäre Hilfe
Auch der Kanzler hat seinen Fokus verändert. Im Vorfeld seiner Reise sprach er sich gegen eine israelische Militäroffensive in der Stadt Rafah aus. Knapp anderthalb Millionen Menschen sollen sich in Rafah und Umgebung aufhalten, die meisten von ihnen Binnenflüchtlinge. Bei einer Offensive könne es zu „sehr vielen furchtbaren Opfern“ kommen, warnte Scholz. Netanjahu dagegen argumentiert, Israel könne die Hamas nicht besiegen, solange die Terroristen die Grenzstadt Rafah und damit auch die Schmuggelwege nach Ägypten kontrollieren. „Kein Maß an internationalem Druck wird Israel davon abhalten, sämtliche Kriegsziele zu erreichen“, sagte er am Sonntag bei einer Kabinettssitzung.
Nach dem Treffen mit Netanjahu am Sonntagabend forderte Scholz zudem eine Ausweitung der humanitären Hilfen für notleidende Menschen im Gazastreifen. Er habe dem israelischen Premier gesagt, dass die „Bereitstellung von Hilfen von Israel nach Gaza und die Bedingungen für deren Verteilung dringend und massiv verbessert werden muss“, erklärte er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz.
Expertin: Verhältnis zwischen Deutschland und Israel intakt
Adi Kantor, Expertin für Deutschland und deutsch-israelische Beziehungen am Institut für nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv, erwartet dennoch keine Erschütterung des bilateralen Verhältnisses. „Es besteht in Israel kein Zweifel an Deutschlands tiefem Bekenntnis zu Israels Sicherheit“, sagt sie. „Der Konflikt, mit dem Scholz umgehen muss, existiert innerhalb Deutschlands: zwischen der politischen Führung, die die enge Beziehung zu Israel als Grundstein des deutschen Selbstverständnisses sieht, und der deutschen Öffentlichkeit. Wir sehen Demonstrationen gegen Israel auf den Straßen, an den Universitäten, und auch im Bundestag nimmt Kritik an Israel und seiner Kriegsführung zu. Und diese Stimmen werden stärker, je länger der Krieg andauert.“
Scholz’ jüngste Mahnungen an Israel sieht die Forscherin denn auch als Versuch, Rücksicht auf die „deutsche Straße“ zu nehmen. „Auch in Israel gibt es Sorge darum, was mit der Zivilbevölkerung in Rafah passiert“, ergänzt sie. „Und natürlich muss Israel alles tun, um zivile Opfer zu vermeiden. Man darf nur nie vergessen: Die Hamas mit ihren Gräueltaten am 7. Oktober hat diesen Krieg begonnen.“