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Moskau
Nawalny ist gefangen im sibirischen Eis
Abgemagert und trotzdem gut gelaunt: Mehr als zwei Wochen lang galt der Kremlgegner Nawalny im russischen Gefängnissystem als verschwunden. Nun gibt es ein erstes Video.
Nawalny-Video aus neuem Straflager.jpeg       -  Alexej Nawalny, Oppositionspolitiker aus Russland, spricht per Video aus der arktischen Strafkolonie, in der er eine 19-jährige Haftstrafe verbüßt, zu Journalisten.
Foto: Alexander Zemlianichenko, dpa | Alexej Nawalny, Oppositionspolitiker aus Russland, spricht per Video aus der arktischen Strafkolonie, in der er eine 19-jährige Haftstrafe verbüßt, zu Journalisten.
Inna Hartwich
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:27 Uhr

Nein, Briefe hätten es noch nicht zu ihm geschafft. Telegramme auch nicht. Alexej Nawalny, Russlands Polithäftling Nummer eins, steht hinter einem Gitter, im Hintergrund ist eine weiße, geöffnete Tür zu sehen. Eine Kamera filmt ihn und schickt die Bilder in eine Strafkolonie, die er längst verlassen hatte. Ein paar Journalisten stellen ihm dort Fragen. Nawalny lächelt, wie er immer lächelt. Abgemagert ist er, die Haare kahl geschoren. „Auch mein Väterchen-Frost-Bart ist ab, Bärte sind nicht erlaubt hier“, sagt er. Es gehe ihm gut, lässt er die dort vor dem Bildschirm sitzenden Journalisten wissen. „Es gibt nur ein Problem“, fügt er in seiner gewohnt scherzhaften Art hinzu. „Ich weiß aber nicht, an welches Gericht ich mich damit wenden soll: Das Wetter ist schlecht.“

Erst Ende Dezember war bekannt geworden, dass der 47-Jährige in das entlegene Straflager „Polarwolf“ in der Jamal-Region weitab vom Machtzentrum Moskau verlegt worden war. Zuvor hatten seine Unterstützer wochenlang nach ihm gesucht, weil das russische Strafvollzugssystem ihnen keine Auskunft über Nawalnys Verbleib gab. Als „neues Väterchen Frost“, Russlands Mythenfigur und Ersatzweihnachtsmann in einem, hatte er sich schließlich über X, ehemals Twitter, samt dem ihm eigenen Galgenhumor wieder gemeldet. Nawalny, der im August vergangenen Jahres unter anderem wegen „Bildung einer extremistischen Gemeinschaft“ zu insgesamt 19 Jahren Haft verurteilt worden war, war auf Etappe geschickt worden. So nennt sich in Russland die Verlegung von einer Strafanstalt in eine andere, eine noch auf Zarenzeiten zurückgehende Praxis der Erniedrigung von Gefangenen. Die Prozedur gehört bis heute zu den schlimmsten Phasen im Leben eines Verurteilten, der bis zu seiner Ankunft am neuen Ort – wie auch seine Angehörigen – über Wochen hinweg im Unwissen gelassen wird, was mit ihm passiert. Der Strafvollzugsbehörde geht es dabei vor allem darum, den Gefangenen ihre Ohnmacht zu demonstrieren. 

Stalin ließ in Charp Gefängnisse bauen

Seine neue Strafkolonie IK-3 ist fast schon eine russische Klischee-Strafanstalt sowjetischer Bauart im unwirtlichen russischen Norden. Das Dorf Charp (der Name kommt aus Sprache der Nenzen – bis heute lebt dieses nomadische Volk von seiner Rentierzucht – und heißt „Nordlicht“) ist ein Ort, der nur wegen der Gefängnisse überhaupt existiert. Ende der 1940er-Jahre sollte hier die Transpolare Magistrale durchführen, ein stalinistisches Großprojekt, das von Workuta das Eismeer entlang bis nach Ostsibirien führen sollte. Gulag-Gefangene sollten die Eisenbahnlinie bauen – wie auch die Gefängnisbaracken für sich und die Häuser für ihre Aufseher. Nach dem Tod des Diktators Stalin 1953 wurde die „Tote Trasse“ aufgegeben. Die Dörfer blieben und mit ihnen die Gefängnisse. In Charp gibt es neben „Polarwolf“ noch die „Polareule“ für knapp 400 lebenslänglich Verurteilte, im nur 30 Kilometer entfernten Labytnangi die Strafkolonie „Eisbär“. Hier war einst der ukrainische Filmregisseur Oleh Senzow in einen monatelangen Hungerstreik getreten.

Derzeit herrschen in Charp Temperaturen von mehr als minus 30 Grad Celsius. Tagsüber gibt es in diesen Breitengraden lediglich drei Stunden lang Licht, sonst herrscht draußen finstere Nacht. Im Sommer geht die Sonne dagegen wochenlang nicht unter, Mückenschwärme werden zur Plage. In Charp leben knapp 5000 Menschen, die meisten von den Strafkolonien. Täglich halten hier zwei Züge, einer geht nach Moskau, der andere nach Workuta, noch weiter hinter den Polarkreis, in die Froststadt der einstigen Arbeitslager. 

Kremlgegner Nawalny ist in Isolationshaft

Alexej Nawalny ist wieder einmal in Isolationshaft, was bedeutet, dass er bereits um 6.30 Uhr morgens Ausgang in einen „Hof“ habe – „elf Schritte lang, drei Schritte breit, über dem Kopf ein Gitter“, wie er mitteilt. Dem Regime geht mit der Verlegung vor allem darum, den Politiker zu isolieren. Im März will Wladimir Putin als Präsident bestätigt werden. Der Kreml und seine willfährige Justiz ersticken kritische Stimmen. Nawalnys Unterstützer haben das Land längst verlassen oder sitzen – wie ihr Idol – im Gefängnis. Stellt jemand Putins Agenda infrage, rücken nicht selten die Geheimdienste an. Auch der Zugang zu Nawalny ist erschwert, selbst für seine Anwälte. Charp liegt in einer Grenzzone, selbst russische Staatsbürger brauchen dafür eine spezielle Genehmigung des Inlandsgeheimdienstes FSB. Der Weg dorthin dauert – sowohl mit dem Auto als auch mit dem Zug – mehr als zwei Tage. Das „neue Väterchen Frost“ soll verstummen. So will es das Regime. Nawalny lächelt in die Kamera und hat genau das nicht vor.

Anlässlich des dritten Jahrestags seiner Inhaftierung riefen Nawalnys Anhänger unterdessen weltweit zu Demonstrationen am 21. Januar auf. „Lasst Putin nicht gewinnen“, schrieb Nawalnys ins Ausland geflüchteter Chefstratege Leonid Wolkow auf seinem Telegram-Kanal. Geplant sind Demonstrationen allerdings nur im Ausland – auch wegen der starken Repressionen in Russland.

 
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