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Dschidda
Annalena Baerbock ist allein unter Männern – und erfolgreich
Die deutsche Außenpolitik war jahrzehntelang von schulterklopfenden Männern geprägt. Annalena Baerbocks Politikstil könnte sie erneut zur Kanzlerkandidatin machen.
Annalena Baerbock.jpeg       -  Wuchs auf dem Dorf auf: Außenministerin Annalena Baerbock.
Foto: Jens Kalaene, dpa | Wuchs auf dem Dorf auf: Außenministerin Annalena Baerbock.
Stefan Lange
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:55 Uhr

Als die begleitende Presse von Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in der saudi-arabischen Hafenstadt Dschidda von einem Termin zum nächsten gefahren wird, gibt die Tour symbolisch Einblick, wie Diplomatie funktioniert. Der goldfarbene Bus fährt dieselbe Strecke auf der einen Straßenseite hin, auf der anderen wieder zurück, er braucht für wenige Kilometer zum Bestimmungsort eine sehr lange Zeit. Der Bus ist nicht etwa auf dem Irrweg, er kann wegen seiner Größe bloß nicht zwischendurch einfach mal so abbiegen und muss Umwege in Kauf nehmen. Mit der Arbeit der Grünen-Politikerin ist das ähnlich. Der Weg zum Ziel führt nicht einfach geradeaus, das gilt für ihre Arbeit wie für ihre politische Karriere.

Annalena Baerbock ist die erste deutsche Außenministerin in einer immer noch männlich geprägten Welt der Diplomatie. Über den Globus verteilt sind die Kollegen deutlich in der Überzahl; das Bild ändert sich, aber nur langsam. Seit dem Regierungswechsel ist sie die Chefin des Außenamtes, einem großen Gebäudekomplex an der Spree mitten in Berlin, vis-à-vis dem neuen Humboldt-Forum gelegen. Das Ministerium hat weltweit rund 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, früher arbeiteten die meisten im Ausland. Heute hat sich das Verhältnis umgekehrt. Kritiker monieren, die deutsche Außenpolitik sei ein Bürokratiemonster geworden, träge und langsam.

Baerbock ist vom ersten Tag an bemüht, Tempo zu machen. Kaum hat sie den Amtseid abgelegt, steigt sie schon in einen Regierungsflieger und startet zu ihrer ersten Auslandsreise. Die führt sie zunächst nach Paris; die Grünen-Politikerin steht da fröhlich im roten Kleid neben ihrem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian, ein politischer Haudegen des Jahrgangs 1947. Dem Bretonen haben die vielen Jahre in der Politik Spuren ins Gesicht gegraben, der Kontrast zu Baerbock– die bei dem Besuch wenige Tage vor ihrem 41. Geburtstag steht – ist frappierend. 

Annalena Baerbock und ein Selfie vor dem Eiffelturm

Kritik gibt es an einer Szene, die die andere Baerbock zeigt. Mitten in der Seine-Metropole lässt sie ihre Wagenkolonne halten, steigt aus und macht ein Selfie von sich und dem Eiffelturm. Das Foto sei für ihre beiden Töchter, sagt die Mutter, die mit dem Politikberater und PR-Manager Daniel Holefleisch verheiratet ist. Die Geste ist einerseits rührend; im Haifischbecken der Politik andererseits eine Steilvorlage für alle Kritikerinnen und Kritiker, die nur auf einen Fehler lauern. "Wie kann sie nur?", wird getuschelt. Baerbock nimmt sich die Kritik offenbar zu Herzen, in den Monaten danach macht sie keine Selfies mehr. Jedenfalls keine, bei denen Pressefotografen in der Nähe sind.

Baerbocks Handeln wird vielfach als Unbekümmertheit gedeutet. Ihre Amtsführung reizt eine ausländische Zeitung zu einem Vergleich mit Pippi Langstrumpf. Pausbäckig mache sich Baerbock die Welt, wie sie ihr gefällt. Treffender wäre die Bemerkung, Baerbock verfüge über ähnlich unermüdliche Ausdauer wie die literarische Figur von Astrid Lindgren. "Die Welt ist kein Wunschkonzert", sagt Annalena Baerbock immer wieder. Sie ist nicht mit Naivität Grünen-Co-Vorsitzende, Kanzlerkandidatin und Ministerin geworden. 

Baerbocks Auslandsreisen sind persönliche Stresstests

1985 kaufen die Eltern zusammen mit einem Onkel ein halb verfallenes Anwesen in einem kleinen Dorf bei Hannover; sie wächst dort mit zwei Schwestern und zwei Cousinen auf. Als "Hippiehaushalt" beschrieb sie ihr Elternhaus einmal. Sie lernt, dass Veränderung eine Stimme braucht und Ziele sich nicht ohne Bewegung erreichen lassen. Mit den Eltern demonstriert sie für Frieden und gegen Atomkraft, der Weg zur Grünen-Politikerin scheint vorgezeichnet, 2005 wird sie Parteimitglied. Auch ihre Ausbildung stellt Weichen: Baerbock studierte an der London School of Economics and Political Science und schloss als Master of Laws ab. 

Ihre vielen Auslandsreisen sind persönliche Stresstests. Im Morgengrauen aufstehen, je nach Ziel bis zu 15 Stunden im Regierungsflieger, bei der Landung oft deutliche Zeit- und Temperaturunterschiede, und erst dann folgt das eigentliche Programm. Die Arbeitstage haben so schnell 30 Stunden und mehr. Nicht viele wollen das, und von denen, die es wollen, können es nicht viele. Baerbock hat seit Amtsantritt bereits zahlreiche Reisen absolviert. Europa, Asien, USA, Naher Osten – die Liste ist lang. Sie erinnert darin schon jetzt ein wenig an Hans-Dietrich Genscher. Von dem legendären FDP-Außenminister im gelben Pullunder ging das Bonmot, er sei so viel im Flugzeug unterwegs, dass er sich selbst in der Luft begegne.

Annalena Baerbock zieht mit Präsenz Aufmerksamkeit auf sich

Zu Beginn ihrer Amtszeit musste sich Baerbock den Vergleich mit ihren Vorgängern gefallen lassen. Nicht mit dem stillen und politisch eher blassen Heiko Maas und dem filigranen Guido Westerwelle, der Blick ging eher auf Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier. Beide Freunde des Schulterklopfens, des breitbeinigen Auftritts, stets darauf bedacht, nicht nur die deutsche Außenpolitik, sondern gleichzeitig die eigene Karriere voranzutreiben. Das Poltrige ist Baerbocks Sache nicht, sie zieht durch Präsenz Aufmerksamkeit auf sich.

Auf ihrer Reise nach Saudi-Arabien und Katar etwa steht sie einer Phalanx von Männern gegenüber, denen Frauenrechte zumindest in den letzten Jahrzehnten nie wichtig waren. Die deutsche Außenministerin beeindruckt das nicht. Sie zieht ihre Themen unbeirrt durch, fordert die Einhaltung von Menschen- und insbesondere Frauenrechten ein; immer wieder geht es um ihre "feministische Außenpolitik". Sie wird oft dafür belächelt. Doch die Grüne will das Augenmerk auf die Rechte, die Repräsentanz und die Ressourcenausstattung von Frauen und marginalisierten Gruppen lenken, sie selbst macht es in ihrer Arbeit vor. Wenn die Situation es ergibt, drückt sie ihrem Counterpart ein Exemplar der Leitlinien in die Hand, dem saudischen Außenminister beispielsweise. Und wenn es nottut, wird sie energisch. Bei einem Besuch in der Türkei soll es – berichten einige, die in der Nähe waren – beim Gespräch mit ihrem Amtskollegen wegen deutlicher Meinungsverschiedenheiten verbal so lautstark gerummst haben, dass ihre Leute sich schon fragten, ob sie besser mal nach dem Rechten schauen sollten. 

Merkel und Baerbock kennen und schätzen sich

In ihrem Politikstil erinnert die einst passionierte Trampolin-Springerin Baerbock an Kanzlerin Angela Merkel; die beiden Frauen kennen und schätzen sich. Merkel schaute ihre männlichen Gesprächspartner genau an; wer zu laut auftrat, war bei ihr schnell durchgefallen. Zuhören, nachdenken, Schlüsse formulieren und dann danach handeln, so ging die CDU-Politikerin meist vor. 

Im Gespräch mit Journalisten macht Baerbock phasenweise den Eindruck, sie sei sich noch nicht ganz sicher, ob sie ihre Position, ihr Amt, wirklich verdient. Wo andere sich nach vorn drängeln, ist sie zurückhaltend. Bestimmten Themen einen Spin zu geben, sich auf Kosten von Kabinettsmitgliedern zu profilieren, ist ihr Ding nicht. Baerbock wurde, wie einst Merkel, gerade in den ersten Amtswochen oft angegriffen. Die (a)sozialen Netzwerke schütteten kübelweise Spott aus, wenn ihr ein Wort verrutschte oder sie eine Zahl falsch wiedergab. 

Wer solche Erfahrungen gemacht hat, wird vorsichtig, gar misstrauisch. Einerseits. Andererseits hat sie ihre zurückhaltende Besonnenheit zu einer sattelfesten Außenministerin werden lassen. Die Weste ihres Parteikollegen Robert Habeck hingegen ist nicht mehr weiß, er musste einen Staatssekretär entlassen und steht wegen seiner Amtsführung in der Kritik. Baerbock wird es mit Interesse, womöglich einiger Genugtuung verfolgen. Der Wirtschaftsminister hatte ihr nur zähneknirschend die Kanzlerkandidatur überlassen. Nachdem sie gescheitert war, zog er in der Ampel-Koalition sofort das Ruder an sich. Habeck wurde eine Art Popstar der Grünen; aber wer hoch fliegt, fällt auch tiefer. Baerbock ist inzwischen wieder deutlich beliebter als er. 

Der Ukraine-Krieg, die Krise im Jemen und im Sudan, der ewige Nahost-Konflikt– Ziele lassen sich für eine Außenministerin nur auf die lange Strecke erreichen, Abkürzungen gibt es nicht. Während sie ein Dossier nach dem anderen abarbeitet, dürfte die Grünen-Politikerin Baerbock ein weiteres Ziel ins Visier nehmen. Die gesunkenen Umfragewerte sprechen zwar gerade nicht dafür, aber mit einiger Wahrscheinlichkeit wird ihre Partei zur nächsten Bundestagswahl einen Kanzlerkandidaten benennen. Beziehungsweise, und mit großer Wahrscheinlichkeit, eine Kanzlerkandidatin.

 
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