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Türkei
Die Gescheiterte: Tansu Ciller war die erste türkische Ministerpräsidentin
Vor 30 Jahren wurde Tansu Ciller die erste und bislang einzige türkische Ministerpräsidentin. Angetreten als Frau westlicher Prägung, ebnete sie am Ende den Islamisten den Weg.
Susanne Güsten
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:25 Uhr

"Ciller schreibt Geschichte", titelte die türkische Zeitung Milliyet, als Tansu Ciller am 25. Juni 1993 die Vertrauensabstimmung im Parlament gewann: "Die Türkei hat erstmals eine Frau als Ministerpräsidentin." Die elegante Wirtschaftsberaterin hatte diese Beförderung weniger den türkischen Wählern zu verdanken als der regierenden Partei des Rechten Weges, die sie zur Nachfolgerin von Premier Süleyman Demirel bestimmte. Er hatte ihr den Weg geebnet, um stärkere Kandidaten aus dem Parteiapparat zu blockieren, doch die Quereinsteigerin Ciller erwies sich als machthungriger und rücksichtsloser als die männliche Konkurrenz.

Tansu Ciller hatte in den USA studiert und promoviert, sprach fließend Englisch und verkörperte mit ihrem mittelblonden Haar und selbstsicheren Auftreten das Idealbild der modernen türkischen Frau – jedenfalls aus Sicht der säkularen Oberschicht und in der Wahrnehmung des Westens. "Die Ministerpräsidentin steht für eine neue Generation der Führung in der Türkei", begrüßte US-Präsident Bill Clinton sie zu ihrem Antrittsbesuch in Washington. Die Realität, aber war eine andere. Unter Tansu Ciller eskalierte der Kampf der türkischen Armee gegen die kurdische Separatistengruppe PKK im Südosten der Türkei zu offenen Menschenrechtsverletzungen. Die Sicherheitskräfte erhielten in ihrer Amtszeit freie Hand für die Verschleppung von Dissidenten und außergerichtliche Hinrichtungen, die Armee brannte tausende Dörfer in der Kurdenregion nieder und vertrieb hunderttausende aus ihrer Heimat. 

Tansu Ciller erreichte Zollunion zwischen Türkei und Europäischer Union

Cillers größter Erfolg war die Zollunion zwischen der Türkei und der Europäischen Union, die 1995 beschlossen wurde. Wirtschaftlich war ihre Regierungszeit aber von einem Konjunktureinbruch und galoppierender Inflation geprägt. Korruptionsskandale häuften sich. Politisch schon auf dem absteigenden Ast, ging Ciller 1996 eine Koalition mit den Islamisten von Necmettin Erbakan ein, der dadurch Ministerpräsident wurde, und schockierte damit sowohl das politische Establishment der Türkei als auch die Armee. Ihren Niedergang hielt das Manöver nicht auf; auf Druck des Militärs musste die Regierung im folgenden Jahr zurücktreten. Als ihre Partei es 2002 nicht mehr ins Parlament schaffte, verkündete Ciller ihren Rückzug aus der Politik. Heute lebt sie zurückgezogen in einem Palais am Bosporus und erscheint nur alle fünf Jahre kurz auf der öffentlichen Bühne, um Wahlkampf für Präsident Recep Tayyip Erdogan zu machen.

 
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