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Warschau
Polen wählt: Am Sonntag fällt die Entscheidung in einem gespaltenen Land
Tusk gegen Kaczynski, EU-Kurs gegen Abschottung, Stadt gegen Provinz: Am Sonntag entscheidet sich die Zukunft Polens. Die große Frage: Wird diese Wahl fair sein?
Präsidentschaftswahl in Polen.jpeg       -  Rot und Weiß, die Farben Polens. Aber wofür sollen sie künftig stehen? Die Wählerinnen und Wähler haben eine schwere Entscheidung zu treffen.
Foto: Adam Warzawa, dpa | Rot und Weiß, die Farben Polens. Aber wofür sollen sie künftig stehen? Die Wählerinnen und Wähler haben eine schwere Entscheidung zu treffen.
Jens Mattern
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:16 Uhr

Bialystok ist eine Stadt im armen Nordosten Polens, die höchsten Gebäude sind Kirchen und keine Glaspaläste. In den Seitenstraßen verkaufen Bauern Gemüse, Beeren und allerlei Pilze, teils einfach auf den Gehsteigen ausgebreitet. Das Zentrum ist mit riesigen Plakaten zugeklebt, hauptsächlich die Kandidaten der regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) um Jaroslaw Kaczynski sind zu sehen, deutlich schwächer präsent ist sein liberalerer Konkurrent, der einstige EU-Ratspräsident Donald Tusk, mit seiner "Bürgerkoalition" (KO). Es sind nur ein paar Tage bis zur Wahl, in der kleinen Philharmonie der Stadt wird gleich der nationalkonservative PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski auftreten. 

Der kommende Sonntag gilt als Schicksalstag für Polen. Programmatisch geht es darum, ob die kommende Regierung weiterhin auf einen Konfliktkurs mit der EU setzt und die Kontrolle über das Justizwesen und andere Bereiche des Staates ausweitet. Der ehemalige Regierungschef und Europapolitiker Donald Tusk will Warschau wieder an Brüssel annähern, das Rechtswesen korrigieren und einen Teil der bisherigen Regierungsriege vor Gericht stellen. Beide Kontrahenten, der 74-jährige Jaroslaw Kaczynski und der 66-jährige Donald Tusk, sind seit fast zwanzig Jahren in Hass miteinander verbunden, sehen den jeweils anderen als den Totengräber des Landes. 

Pawel Wnorowski und Sebastian Grygoruk lehnen deshalb beide Bewerber ab. Sie sind von der Parteien-Allianz "Konföderation" und verteilen an diesem Vormittag in der Altstadt Banknoten. Zu sehen ist darauf das Konterfei von Premier Mateusz Morawiecki und eine Zahl mit vielen Nullen – eine Anspielung auf die Inflation, welche eine dritte Amtszeit der PiS-Regierung mit sich bringen würde. "Tusk hat Steuererleichterung versprochen, nicht eingehalten, den wollen wir auch nicht mehr", meint Wnorowski, Student und Nachwuchspolitiker. Auch ein Generationswechsel sei wichtig. Schließlich sind Tusk und Kaczynski beide im Rentenalter. 

Vor der Philharmonie reiht sich eine lange Schlange von PiS-Anhängern und Mitgliedern auf. Eintritt nur nach Einladung. Man hat Angst vor Provokationen. Medienvertreterinnen und -vertreter hoffen ebenfalls auf Einlass. Doch wenn eine lokale Größe der PiS im edlen Zwirn zum VIP-Eingang eilt, haben meist nur die Journalisten des Staatssenders TVP die Chance auf ein Statement. Der Reporter des regierungskritischen Infokanals TVN24 geht jedes Mal leer aus, die Abgeordneten laufen vor ihm weg, als hätten sie Angst, von der Kamera des "Feindes" eingefangen zu werden. Auch dies ist ein Vermächtnis der PiS – der öffentlich-rechtliche Sender ist ein Instrument der Regierung, ein Instrument, das mehr Reichweite als die Privaten hat, vor allem auf dem Land. 

Stimmung beim Wahlkampf in Polen

Schließlich werden dann doch nach strengen Sicherheitskontrollen alle Medienschaffenden hineingelassen, solche mit ausländischem Pass sind fast gar nicht dabei. Auf der Bühne haben sich bereits Aktivisten mit Polen-Fähnchen positioniert, auf der linken Seite der Bühne sitzen ein paar betagte Gäste, auf der rechten Mädchen in Pfadfinderinnen-Uniform: die Vergangenheit und die Zukunft des nationalkonservativen Polens. Zwanzig Minuten lang wird von einem Animateur Stimmung gemacht. "Wir ge-win-nen" und "Aus Liebe zu Polen!", skandieren die auserlesenen Gäste. Wie bei einem US-Wahlkampf. 

Dann betritt endlich der Mann im schwarzen Anzug den Saal und geht zum Rednerpult; frenetischer Jubel ertönt. Kaczynski wirkt nicht sehr energisch, inoffiziell ist genau dieses Auftreten eine große Sorge seiner Partei. Nach zwei Sätzen über sein Verhältnis zur Stadt kommt gleich die Warnung: Donald Tusk sei ein "spezieller" Gegner. Kaczynski liebt die Andeutungen, die undeutliche Sprache, um dann wieder holzschnittartig klar zu werden: "Entweder ein starkes Deutschland und Moskau – oder ein starkes Polen in Europa", darum gehe es bei dieser Wahl. Tusk diene fremden Interessen. Der Nationalkonservative spricht wie immer mit recht monotoner Stimme. Doch er ist seit der Wende 1989 ein wichtiger Spieler in der Politik und seine Eigenheiten sind schon lange Kult. Der westliche Nachbar Polens und sein gefährlicher Einfluss machen über die Hälfte der Rede aus. Die Deutschen wollten den Polen ihre Art von Ordnung aufdrängen, heißt es unter anderem.

Gewarnt wird vor der Opposition, sie wolle abrüsten, die Bildungschancen der sozial Schwachen zerstören und illegale Migranten Polen aufdrängen. Die "Visa-Affäre", bei der Mitarbeiter des polnischen Außenministeriums vermutlich 250.000 EU-Arbeitsvisa illegal und gegen Wucher ausgestellt haben, erwähnt Kaczynski nicht. 

Zum Abschluss skizziert er seine Zukunftsvision. Polen werde in acht bis zehn Jahren zuerst Deutschland und am Schluss die skandinavischen Länder "überholen", der PiS-Parteichef malt einen "tausendjährigen Erfolg" aus. Die anwesenden Gäste müssten jedoch noch die vielen Unentschlossenen überzeugen. Als Hausaufgabe bis zum 15. Oktober. 

Welches ist das wichtigste Argument für die PiS? Eine gepflegte Frau Mitte sechzig, die die Treppen zum Ausgang heruntersteigt, meint: "Freiheit, unsere Freiheit, keine Pseudofreiheit." Dabei fürchtet die pensionierte Lebensmittel-Ingenieurin, Vorname Ewa, eine Wiederholung des Zweiten Weltkriegs. Sie habe nichts gegen Deutsche, ihr Schwiegersohn Felix sei einer, ein ganz wunderbarer Mensch. Aber nur die PiS könne die Sicherheit ihres Landes garantieren. 

Zenon Perkowski, 66 Jahre alt, ein ehemaliger Aktivist der Bauern-Solidarnosc und Mitglied der PiS, ist weniger zurückhaltend. "Wir brauchen ein freies und patriotisches Polen, ohne dass die Szwaby (abwertend für Deutsche, Anm. der Redaktion) und Ruskis etwas dabei zu sagen haben", schreit der kräftig gebaute Mann.

Land gegen Stadt bei den Wahlen in Polen

Das Zentrum von Bialystok bleibt nach der Veranstaltung verwaist. Die Stadt mit knapp 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern hat einen KO-Politiker als Bürgermeister, doch die Verwaltungseinheit, in der sie liegt, ist PiS-regiert. Die waldreiche Gegend gilt als strukturschwach, hier lebt die PiS-Wählerschaft, die teils auf Sozialpakete hofft. Land gegen Stadt, auch darum geht es bei dieser Wahl. Ein Passant erzählt, dass der nationalkonservative Verwaltungschef vor einem Jahr dem Bürgermeister den Strom abgestellt habe, als dieser bei einer Feier die Europa-Hymne abspielen lassen wollte. Eine Provinzposse. 

Erneut sind nur Wahlkämpfer der Konföderierten zu sehen. Die freundliche Kandidatin Barbara Majewska beklagt zu viele ukrainische Flüchtlinge. "Wir haben hier Armut", erklärt sie. Die sonst weit härter formulierte antiukrainische Haltung des Parteienbündnisses gilt als großes Problem für mögliche Koalitionen. Und hier hat sich die PiS angepasst. Aufgrund der Streitigkeiten um die billigen Getreidelieferungen aus dem Osten hat Premier Morawiecki im September erklärt, dass Polen seine Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen will. Auf der anderen Seite halten über zwei Drittel der Polen und Polinnen die politische und militärische Unterstützung der Ukraine durch ihre Regierung weiterhin für notwendig. 

Vor der Wahl in Polen: Wahlbeobachter bleiben draußen

Zurück in Warschau: Bei einer Debatte im Staatsfernsehen poltern Morawiecki und Tusk gegeneinander. Morawiecki soll bei einem Sieg der Regierungspartei weiter als Premier fungieren. Beide bezichtigen sich aller möglichen Untaten, werden persönlich. Und das schreckt viele ab. Sachlicher agiert der 47-jährige Szymon Holowania, Kandidat des christlich-agrarischen Parteienbündnisses "Dritter Weg". Mit dem Slogan "Schluss mit dem Gestreite – nach vorn" sollen die vielen Politikverdrossenen überzeugt werden. Zusammen mit der KO könnten sie unter einem Premier Tusk eine Koalition mit knapper Mehrheit bilden, so die jüngsten Umfragen. Und davor hat die PiS Angst. 

Anhänger der Opposition fragen sich daher, ob die Wahlen am Sonntag wirklich fair verlaufen werden. Beunruhigend ist zumindest, was über Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) später zu lesen ist. Sie wurden beim Wahl-Event in der Philharmonie von Bialystok einfach nicht eingelassen. 

 
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