Rund um den Jahreswechsel ins neue Jahr 2019 ging es hoch her im Hause des damaligen Verkehrsministers Andreas Scheuer. Bis spätestens zum Silvesterabend mussten noch rasch die Unterschriften unter den Vertrag über die Pkw-Maut. Keine 30 Stunden vor dem Jahreswechsel meldeten die vom Bund auserkorenen Betreiber Eventim und Kapsch an jenem Sonntagabend, dass beide Seiten gerade ihre Zusammenarbeit "per notarieller Beurkundung" besiegelt hätten.
Andreas Scheuers Mautdebakel: Hellseherischer Dialog bei Markus Lanz
Wie umstritten seine Unterschrift war und welcher Ärger ihm drohen könnte, spürte CSU-Minister Scheuer nur elf Tage später, als er in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ saß: „Wie viel müssen Sie zahlen, für den Fall, dass das schiefgeht, wenn vor dem EuGHdie österreichische Klage durchgeht?“, fragte der Moderator mit Blick auf das Verfahren gegen die Pkw-Maut vor dem Europäischen Gerichtshof. „Ich bin sehr entspannt“, antwortete Scheuer. „Wie viel?“, blieb Lanz hartnäckig. Er wolle da kein laufendes Verfahren kommentieren, erwiderte Scheuer. „Aber wie viele Millionen?“, hakte Lanz nach. „Dreistellig?“ Scheuer versuchte den Schlagabtausch zu beenden: „Sind wir hier in der Glaskugelveranstaltung?“
Seit knapp einem Monat weiß die Republik die Antwort: Dreistellig, 243 Millionen Euro. So viel muss der Bund nach einem Vergleich vor einem Schiedsgericht den beauftragten Firmen für das gescheiterte Vorhaben bezahlen. Obendrauf kommen noch weitere gut 80 Millionen Euro, die das CSU-Prestigeprojekt den Bund an Entwicklungskosten inklusive späterer Anwaltsgebühren gekostet hat.
Die 243 Millionen Euro muss Scheuers Nachfolger, FDP-Verkehrsminister Volker Wissing aus seinem Etat rausbrechen. Immerhin gelang es seinen Leuten, die ursprüngliche Forderung der Betreiber von 560 Millionen Euro fast auf die Hälfte zu drücken. Und das, obwohl Scheuers Maut-Vertrag bei einem Scheitern des Projekts den Firmen gewaltige Ersatzzahlungen versprach, die im Nachhinein nicht nur bei Fachleuten Entsetzen auslösten. Eines von vielen fragwürdigen Details, die noch zu Scheuers Amtszeit ein Untersuchungsausschuss aufrollte.
Mautbetreiber boten Scheuer Verschiebung der Vertragsunterzeichnung an
So bestätigte dort Eventim-Chef Klaus-Peter Schulenberg als Zeuge, dass er Scheuer und dessen Staatssekretär Gerhard Schulz einen Monat vor der hastigen Vertragsunterzeichnung angeboten hatte, damit bis nach dem EU-Urteil zu warten. Nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit. Die Betreiber schielten wohl auf eine Klärung der Gebührenfrage für Transporter und Busse zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen, die anders als Pkw und Lkw weiter mautfrei über Autobahnen gedonnert wären. „Ich habe daher angeboten, der Bund könne bis nach dem EuGH-Urteil mit der Beauftragung warten“, sagte Schulenberg. „Schließlich hätten wir dann noch einige Zeit bis zum Ende der Legislaturperiode, und man wüsste dann, ob die Risiken eines negativen Urteils eintreten würden.“ Scheuer und sein damaliger Staatssekretär erklärten im Ausschuss, dass sie sich an das Angebot, nicht erinnern konnten.
FDP, Grüne und Linke warfen Scheuer nach Abschluss der Untersuchungen „grobe Fahrlässigkeit, Rechtsbruch und schlechte Führung“ vor. Ob Scheuer nicht nur politisch, sondern auch justiziabel fahrlässig gehandelt hat, will nun sein Nachfolger Wissing klären lassen: „Wir lassen ein externes Gutachten erstellen, um Rechtsfragen zu klären“, kündigte der FDP-Politiker und früherer Berufsrichter jetzt an. „Das ist letztlich keine politische Frage, sondern es ist eine rechtliche Frage. Dazu muss das Maß der Fahrlässigkeit untersucht werden.“ Juristen halten das Ansinnen für wenig aussichtsreich, da das Bundesministergesetz keine persönliche Haftung vorsieht.
Mautdebakel: CSU hält weiter eisern zu Andreas Scheuer
Die CSU hält nach außen weiter eisern zu ihrem Maut-Minister a.D.: „Eine Regressforderung ist vollkommen abwegig“, sagte der Parlamentarische CSU-Geschäftsführer Stefan Müller. „Das Sommerloch scheint groß zu sein, wenn Volker Wissing zum wiederholten Male mit der gleichen dünnen Ankündigung Schlagzeilen machen will.“
Tatsächlich könnte sich an einer anderen Figur zeigen, wie ernst es dem FDP-Minister ist: Scheuers damals wichtigster Maut-Mann war der genannte Staatssekretär Gerhard Schulz. Er machte nach dem Debakel Karriere: Scheuer berief ihn zum gut dotierten Chef des im Zuge der Pkw-Maut-Pläne verstaatlichten Lkw-Maut-Betreibers „Toll Collect“. Obwohl auch die FDP vor der Wahl die Entlassung von Schulz gefordert hatte, hält Wissing bislang an ihm fest. Scheuer verwies stets darauf, dass er sich durch sein Ministerium „sehr konkret und sehr nachdrücklich informieren“ habe lassen. „Mir wurde gesagt: Es ist ein äußerst geringes Risiko, dass wir beim EuGH Totalschaden erleiden.“