Der Pflegenotstand ist schon heute Realität in Deutschland. Zu vielen alten Menschen, die Hilfe brauchen, stehen zu wenige Schwestern und Pfleger gegenüber, während die Kosten steil nach oben schießen. Deutschland altert. "Japan ist die älteste Bevölkerung der Erde, danach kommt Italien, danach kommen schon wir", sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Freitag in der Bundestagsdebatte um seine Pflegereform.
Sie kann den Notstand nicht beseitigen, nur lindern, das gab der SPD-Minister zu. "Ich weiß, dass dieses Gesetz kein perfektes Gesetz ist, wir werden weitergehen." Dennoch enthält es einige Verbesserungen für Pflegebedürftige und ihre Familien. Die Opposition kritisiert die Reform als Reförmchen. "Dieses Gesetz, wie es jetzt ist, wird den Anforderungen der Zukunft in keiner Weise gerecht", meinte die CSU-Gesundheitsexpertin Emmi Zeulner.
Mit der Pflegereform kommt eine Erhöhung des Pflegegeldes
Von den rund 5 Millionen Pflegebedürftigen werden vier Millionen zu Hause betreut. Ab Januar nächsten Jahres wird das Pflegegeld, das sie erhalten, um fünf Prozent erhöht. Im Januar 2025 erfolgt eine weitere Anhebung um 4,5 Prozent. Je nach Pflegegrad beträgt das Pflegegeld bislang zwischen 316 und 901 Euro pro Monat. Auch die Angehörigen, die Familienmitglieder pflegen, bekommen mehr Unterstützung. Sie konnten sich bislang einmalig bis zu zehn Tage von der Arbeit freistellen lassen und bekamen dafür Pflegeunterstützungsgeld, um den Lohnausfall auszugleichen. Nun soll es diese Möglichkeit jedes Jahr geben. Pro Tag gibt es maximal rund 120 Euro Pflegeunterstützungsgeld.
Ein Entlastungsbudget für Angehörige
Auch pflegende Angehörige werden manchmal krank oder müssen sich im Urlaub erholen. Um jemanden zu bezahlen, der für sie einspringt, gibt es bislang Geld aus der Kurzzeit- und Verhinderungspflege. Beide Töpfe werden durch die Reform zum sogenannten Entlastungsbudget kombiniert, das bis zu 3539 Euro beträgt. Das sind rund 150 Euro mehr als bisher. Der Nachteil: Das Entlastungsbudget kommt erst ab Juli 2025.
Eine Ausnahme sind Familien mit Kindern, die gepflegt werden müssen. Sie können schon ab Anfang 2024 auf das Budget zugreifen, wobei es zunächst nur 3386 Euro beträgt und zum Juli 2025 auf den vollen Betrag anwächst. Gesundheitsminister Lauterbach dankte in seiner Rede ausdrücklich den Angehörigen. "Ohne ihre Arbeit könnten wir unsere Arbeit nicht tun", sagte er. Die CDU-Gesundheitspolitikerin Diana Stöcker bemängelte, dass die Reform der Ampel-Koalition völlig unzureichend sei. Was die Koalition vorgelegt hat, nannte sie "ein dürftiges Auf-Sicht-Fahren". Dass das Entlastungsbudget erst 2025 greife, "ist nicht akzeptabel".
Höhere Entlastungszuschläge für die Pflege im Heim
Die mit dem Jahresbeginn 2022 eingeführten Entlastungszuschläge für Alte und Kranke im Heim steigen ab dem nächsten Jahr. Weil die Pflegeversicherung nur einen Teil der anfallenden Kosten trägt, sind die verbleibenden Ausgaben für die Bewohner eine enorme Last. Die Eigenanteile übersteigen häufig die Renten. Die Zuschläge sollen die Eigenanteile im ersten Jahr im Heim ab 2024 um 15 Prozent senken statt wie bisher um 5 Prozent. Im zweiten Jahr sind es künftig 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent ab dem vierten Jahr 75 statt 70 Prozent.
Steigende Beiträge zur Pflegeversicherung
Um die höheren Leistungen zumindest teilweise gegenzufinanzieren, werden die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung angehoben. Ab dem 01. Juli klettern die Beiträge für Eltern von aktuell 3,05 Prozent auf 3,4 Prozent. Für Kinderlose steigt der Beitragssatz von 3,4 auf 4 Prozent. Gleichzeitig werden Mitglieder mit mehreren Kindern ab dem zweiten Kind bis zum fünften Kind mit einem Abschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten für jedes Kind entlastet. Anders als beim allgemeinen Beitrag von 3,4 Prozent für Eltern mit einem Kind, werden bei der Ermittlung dieses Abschlags Kinder, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, nicht mehr berücksichtigt.
In Summe bezifferte der Gesundheitsminister die Mehrkosten seiner Reform auf sieben Milliarden Euro. Derzeit werden für die Pflege 60 Milliarden Euro an öffentlichem Geld aufgewendet, 2017 waren es laut Lauterbach 35 Milliarden. Die Dynamik zeigt, wie rasant die Ausgaben zulegen. Das viele Geld sei es dennoch wert. "Das ist die Perle unseres Sozialstaates", sagte der Minister.
Weniger Leiharbeit in der Pflege
Leiharbeit hat im Allgemeinen keinen guten Ruf. Doch in der Pflege boomt sie. Schwestern und Pfleger, die über Leiharbeitsfirmen in ein Heim kommen, bedingen sich beispielsweise aus, keine Dienste am Wochenende schieben zu müssen. Und sie verdienen häufig mehr. In der Folge steigen Druck und Unmut bei den Stammkräften. Lauterbachs Gesetzesnovelle verbietet die Leiharbeit in der Pflege nicht, will sie aber finanziell unattraktiv machen. Künftig braucht es "sachliche Gründe", wenn höhere Kosten für Leiharbeit, zum Beispiel für Löhne, abgerechnet werden sollen.